Indianapolis. Für den Pharmamulti Eli Lilly gilt der 23. November 2016 als „Schwarzer Mittwoch“: Der Aktienkurs des Unternehmens Eli Lilly and Company war an diesem Tag um 10 Prozent eingebrochen, ein Börsenwert von rund zehn Milliarden Dollar vernichtet.
Das Debakel war eine Reaktion auf die verehrenden Studienergebnisse, die Lilly zuvor veröffentlichen musste. Der Wirkstoff Solanezumab hatte in der letzten Phase seiner klinischen Prüfung kaum Effekte gegen Morbus Alzheimer gezeigt. Ein Antrag auf Zulassung und
Vermarktung des Arzneimittels war damit in weite Ferne gerückt, eine Milliarde Dollar Forschungs- und Entwicklungskosten hatte Lilly verpulvert. „Herzzerreißend“ sei das für ihn gewesen, sagte der heutige CEO David Ricks damals.
Seine Hoffnung auf die Marktführerschaft in dem Segment war quasi über Nacht zerstoben. Denn bisher hilft den weltweit 47 Millionen Alzheimer-Kranken kein Medikament. Ihr geistiger Verfall ist nicht aufzuhalten, ein Leben ohne intensive Pflege unmöglich.
In den USA summieren sich die jährlichen Behandlungskosten auf 236 Milliarden Dollar. Eli Lilly hatte sich durch den neuen Wirkstoff bereits einen zusätzlichen Umsatz von jährlich drei Milliarden Dollar ausgerechnet. Daraus wird nun nichts.
Während die Anzahl der Patienten jedes Jahr wächst (2050 könnten es schon 130 Millionen sein), ist die Hoffnung auf Heilung wieder gesunken. Mit dem Scheitern des US-Pharmakonzerns stellen sich viele die Frage, ob der Weg der Alzheimer-Forschung in die völlig falsche Richtung ging.
Bisher galt ein unlösliches Protein (Beta-Amyloid) als Hauptübeltäter beim Morbus Alzheimer. Der zu Klumpen (Plaques) verbackene Eiweißstoff, so erklärten die Mediziner, lagere sich zwischen den Nervenzellen im Gehirn ab, behindere dort zunächst die Signalüberleitung und lasse dann die Neuronen über viele Jahre allmählich absterben.
Lillys Wirkstoff sollte diesen Mechanismus durchbrechen. Nach dem Scheitern in der klinischen Prüfung wird die „Amyloid-Hypothese“ als Ursache für die Krankheit zunehmend in Zweifel gezogen. Stephen McGarry, Pharmaexperte bei der britischen Bank HSBC, hält das Denkmodell sogar schon für „tot“. Neben den klassischen Ansätzen (siehe Kasten rechts) rücken daher auch alternative Wege zur Alzheimer-Behandlung in den Fokus der Forschung.
Ein besonders revolutionäres Konzept verfolgt Michael Heneka am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn, einem Institut der hauptsächlich bundesfinanzierten Helmholtz-Gemeinschaft. Der Neurologieprofessor untersucht die fundamentalen Zusammenhänge des Morbus Alzheimer, die Mechanismen, die dann zu Gedächtnisverlust und Orientierungslosigkeit führen und letztlich die Persönlichkeit des die Assekuranzbranche durchrütteln. Privatpersonen sollen ihre Versicherungen für rund die Hälfte der bisher veranschlagten Prämien abschließen können.
Sechs Monate lang sollen die Start-ups jeder Klasse ihre Geschäftsidee im Leipziger Spinlab weiterentwickeln. In dieser Zeit zahlen sie keine Miete, werden gecoacht von HHL-Professoren und Business-Angels, von Anwälten und Steuerexperten beraten, kommen in Kontakt mit Wagniskapitalgebern und Private Equity. Das Spinlab verlangt weder Vermittlungshonorare noch Anteile an den Firmen, die aus dieser Förderung entstehen.
Von Unternehmensseite halten Porsche und die Postbank die intensivsten Kontakte zu den Spinlab-Insassen. Darüber hinaus sponsern Dell, KPMG, die Deutsche Bank und ein Dutzend weiterer Firmen den Inkubator. Die Stadt Leipzig zahlt eine Starthilfe von 6000 Euro je Team.
Nach sechs Monaten endet das Förderprogramm, die Teilnehmer müssen wieder ausziehen aus dem Inkubator der HHL, der offiziell als „Accelerator“ firmiert.
Intelligenz entwickelt das 15-köpfige Team dialogfähige Bildschirmsäulen, die etwa in Supermärkten für individuell adaptierte Werbung eingesetzt werden können.
Die Bilanz des Spinlabs: Rund drei Jahre nach Eröffnung des Accelerators sind von 24 Unternehmen, die in der Vergangenheit dort gefördert wurden, noch 21 aktiv. Immerhin.
Allerdings sind es kleine bis sehr kleine Firmen, die insgesamt kaum über 100 neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Auch für Wagniskapitalgeber sind die Uni-Start-ups in der Regel noch nicht interessant. Die wenigsten Gründer sind schon so weit, dass sie Geld der Profis für ihre Projekte einwerben könnten. Das gilt für die HHL genauso wie für die Leuphana oder auch die Hochschule München.
Garagenfirmen also, wie sie der Münchener Felix Ballendat betreibt, werden gerade in Serie gegründet. Ein Apple oder ein Hewlett-Packard, das daraus entstehen könnte, ist allerdings weit und breit noch nicht zu sehen.
Wer nach dem halben Jahr noch nicht reif ist für einen Umzug in Büros, Werkstätten oder Labors auf dem freien Markt, der findet in der direkten Nachbarschaft des Spinlab günstige Arbeitsräume. Sensape etwa hat seinen Geschäftssitz in demselben Stockwerk wie der Accelerator. Mithilfe künstlicher Kranken zerstören. Und hat dabei eine indirekte Verbindung zu einer anderen Volkskrankheit entdeckt: der Diabetes.
Henekas Wirkungsstätte hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erst im Frühjahr eröffnet: ein raffiniert gestalteter Mehrflügelbau in fröhlichen Farben, gelegen auf dem Campus der Bonner Universitätskliniken. Zahlreiche Prüfgeräte messen dort die Hirnleistung der Probanden. Die Hauben, mit denen die Hirnströme erfasst werden, zeichnen mit ihren 128 Messkanälenjede Regung auf. Auf dem Stationsflur liegt eine verkabelte Kunststoffmatte im Format einer Fechter-Planche. Ein elektrisches Feld misst Ungenauigkeiten im Gangmuster — eines der ersten Symptome von Demenz.
Außenseiter ernst genommen
Alles dreht sich darum, die ersten Anzeichen des Leidens zu entdecken. „Die Krankheit beginnt 20 bis 30 Jahre bevor die Symptome einsetzen“, sagt Heneka. Der bisherige Ansatz, Mittel gegen die Bildung und fürs Auflösen der Plaques zu geben, setzt aus Henekas Sicht viel zu spät an: „Dann führt man eine Schlacht um ein Gebiet, das schon verloren ist.“
Auch Heneka spürt der Rolle des Amyloids nach, weil die Eiweißklumpen im Gehirn einen chronischen Entzündungsprozess auslösen, der auf Dauer zu einem Absterben der benachbarten Neuronen führt. Als Arzt will er die chronische Entzündung im Gehirn bekämpfen, die bei Morbus Alzheimer anders abläuft als etwa bei einem Infekt.
Für die Therapie hat er schon ein Medikament konkret im Auge: Bei der Auswertung der Daten von über 145 000 Zuckerkranken war ihm aufgefallen, dass der seit Langem zugelassene Diabetes-Wirkstoff Pioglitazon die Wahrscheinlichkeit drastisch mindern kann, an Alzheimer zu erkranken.
„Der Effekt war schon lange bekannt“, sagt er bescheiden, „wir haben ihn mit unserer ersten Studie nur exakt beziffert.“ In Experimenten will Heneka nun die Wirkweise des Mittels untersuchen, das nicht nur den Blutzucker reguliert, sondern auch Entzündungen bekämpft. Jedenfalls sofern es frühzeitig eingesetzt wird, also bevor die Alzheimer-Symptome auftreten.
Die etablierte Arznei hat mehrere Vorteile: Sie ist wesentlich günstiger als die teuren, biotechnischen Medikamente, die in der Entwicklung sind. Außerdem kann der Wirkstoff in Tablettenform eingenommen und muss nicht in die Blutbahn injiziert werden. Das Medikament wäre somit ein ideales Therapeutikum auch für Entwicklungsländer.
Für seine Grundlagenforschungen der kommenden Jahre hat Heneka genetisch veränderte Mäuse gezüchtet. Erste Versuche sind fertig konzipiert, bis er Ergebnisse präsentieren kann, dauert es noch.
Henekas Konzept, Alzheimer als eine chronische Entzündung zu betrachten und ein bewährtes Medikament dagegen einzusetzen, mag noch eine Außenseiterposition sein. Big Pharma hat jedoch begonnen, die Idee ernst zu nehmen. Der japanische Pioglitazon-Hersteller Takeda hat eine Langzeitstudie in Auftrag gegeben, die die Anti-Alzheimer-Wirkung seiner Diabetes-Pille (Markenname Actos) an 3500 Menschen im Alter zwischen 65 und 83 Jahren überprüft. Bis 2019 sollen die Resultate vorliegen. Dann will der Konzern entscheiden, ob er eine Zulassung von Pioglitazon auch gegen die gefürchtete Demenz beantragt.