San Fransisco. Er ging mit einem Begleiter durch die Straßen von San Francisco, vom Hauptquartier seines Unternehmens Uber zum Wasser, weiter Richtung Golden Gate Bridge. Und mit jedem Kilometer wurde Kalanick nachdenklicher. Wie konnte es passieren, dass Uber vom Liebling zum HassObjekt wurde? Vom Synonym der Zukunft zum Inbegriff für Machomanagement und Ruchlosigkeit?
Er hat den Imageabsturz selbst befeuert, gibt er in der Nacht zu, mit „kleinen Momenten der Arroganz, wenn ich etwas Provokantes sage“. Wobei das Wort „klein“ im Grunde schon die nächste Provokation ist, wenn man an seine Eskapaden denkt. Er könnte es dabei belassen und stattdessen von Ubers unverschämtem Erfolg erzählen. Aber Kalanick ist wichtig, was die Menschen von ihm denken. „Ich glaube, dass es da draußen diese Frage gibt: ,lst er ein Arschloch?“‚
Kalanick, 40 Jahre alt, Multimilliardär, Gründer des höchstbewerteten privat gehaltenen Startups der Welt. Keines ist schneller gewachsen in den vergangenen Jahren, keines wurde wertvoller, keines hat schneller den Erdball erobert.
Nein, sagt Kalanick dann, er glaube nicht, dass es Geschmackssache sei, ob jemand ein Arschloch sei oder nicht, da müsse es doch eine offizielle Definition geben. „Ich glaube nicht“, sagt er schließlich, „dass ich ein Arschloch bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich keines bin.“
Ein guter Teil der Menschheit, der Fahrer, Kunden und vor allem der Investoren, scheint in diesen Wochen vom Gegenteil überzeugt zu sein: Kalanick, so die Meinung, ist charakterlich nicht in der Lage, Uber weiterzuführen. Und mehr noch: Die gesamte Unternehmenskultur von Uber ist so problematisch, dass es einen Neustart braucht. Ohne Kalanick. Wie aber konnte es passieren, dass ausgerechnet diese Erfolgsstory eine so dunkle Seite hat? Oder gehört sie zu dem atemlosen Erfolg unweigerlich dazu? Es war Adam Lashinsky, Reporter beim US-Magazin „Fortune“, der Kalanick auf dem Spaziergang durch die Nacht von San Francisco begleitete. Er schildert die Szene in seinem neuen Buch „Wild Ride“, in dem er Ubers globalen Eroberungsfeldzug nachzeichnet. Das Buch erschien ironischerweise kurz vor Kalanicks Rausschmiss; aber Lashinsky schien den Keim des Scheiterns, die Überdehnung und Überspannung, bereits zu spüren. Die Zukunft von Uber, schreibt er, sei kompliziert. Uber habe die Leute erst begeistert, dann entfremdet. Es werde bewundert, aber nicht geliebt.
Es sei mächtig, aber habe viele Feinde.
Rauswurf im Hotel Ende Juni, nachdem er bereits beurlaubt war, musste Kalanick abtreten. Den Investoren reichte es nach Jahren voller Skandale, Wutausbrüche, Sexismusvorwürfe, Rechtsstreits und Boykottaufrufe. Denn es geht um viel Geld, das sie in Uber gesteckt haben – in eine der größten Wetten des Silicon Valley.
Zwei wichtige Anteilseigner tauchten Ende Juni in dem Hotel in Chicago auf, in dem Kalanick gerade übernachtete, überreichten ihm ein Schreiben und ließen sich stundenlang nicht abwimmeln. Bis Kalanick kurz vor Mitternacht den Brief über seinen Rücktritt verfasste. Sie hatten ihn in einem Moment der Schwäche angetroffen, seine Mutter war gerade bei einem Bootsunfall gestorben, in ihm steckte nicht die Kraft für einen Kampf. Sonst ist Travis Kalanick einer, der immer kämpft.
Danach hieß es: Kalanicks Sturz sei der Beweis, dass es auch für die überheblichen Genies des Silicon Valley Grenzen gibt, für die „glorifizierten Arschlöcher“. Diese haben immer zwei Seiten: Sie sind genial und gnadenlos. Solange der Erfolg anhält, werden die Ausfälle toleriert. (Mehr lesen)
Und Kalanick war unfassbar erfolgreich. In nur sieben Jahren ist Uber von null auf einen Marktwert von 69 Mrd. Dollar angeschwollen – mehr als der US-Autobauer Ford, mehr als General Motors. Uber fährt in 76 Ländern, vermittelte 2016 5,5 Millionen Fahrten pro Tag, zwei Milliarden pro Jahr. Buchungswert: 20 Mrd. Dollar. 6,5 Mrd. Dollar blieben als Umsatz bei der Plattform hängen. Uber ist in den USA wie Google zum Verb geworden. „I’m ubering.“
Der Erfolg geht vor allem auf Travis Kalanick zurück, der Uber geprägt hat wie nur wenige große Gründerfiguren – wie Steve Jobs Apple, Mark Zuckerberg Facebook, wie Bill Gates Microsoft oder Jeff Bezos Amazon. Kalanicks Investoren, Kollegen und sogar einige seiner geschundenen Mitarbeiter nennen ihn „Genie“ und „Visionär“.
Kalanick ist mit seiner Art nicht allein, im Gegenteil. Das Silicon Valley verehrt seine „Brilliant Jerks“ nahezu. Es gebe, philosophierte Kalanick auf seiner Nachtwanderung durch San Francisco, „dieses Mantra, dass Gründer-CEOs Arschlöcher sein müssen, um erfolgreich zu sein“. Er glaubt nicht daran, aber er findet den Gedanken trotzdem interessant.
Kalanick ist jedenfalls in guter Gesellschaft. Steve Jobs hat seine Leute gern 30 Minuten am Stück angeschrien. „Wenn er ,Bad Steve‘ war“, schreibt sein Biograf Alan Deutschman, „schienen ihm die furchtbaren Schäden, die er bei Egos und Emotionen anrichtete, völlig gleichgültig zu sein.“ Jeff Bezos, Gründer von Amazon, trägt den Spitznamen „Mr. Gnadenlos“. Gerne raunzte er Mitarbeiter an: „Sind Sie faul oder nur inkompetent?“ Er soll Untergebene allein durch sein Lachen demütigen können, das der Autor Brad Stone als „eine Kreuzung aus einem sich paarenden See-Elefanten und einem Elektrobohrer“ beschreibt.
Man könnte die Liste der Ausraster und Übergriffe der Gründergenies noch lange fortsetzen. Sie sind kein Zufall. Psychologen untersuchen seit Langem, wie Persönlichkeit und erfolgreiches Unternehmertum zusammenhängen. Forscher aus Italien und London haben nachgewiesen, dass freundliche Menschen seltener Regeln infrage stellen und weniger innovativ denken. Wer anderen nicht wehtun will, wird inkompetente Mitarbeiter seltener feuern, kein hartes Feedback geben und vor Streit mit Behörden und Konkurrenten zurückschrecken.
Das Problem ist: Die Gründer, genial, kühn, stur und ehrgeizig, erwarten von ihren Mitarbeitern den gleichen energydrinkgetriebenen Rund-um-die-Uhr-Einsatz, den sie selbst bringen. Sie spinnen keine Intrigen, sie sind nicht böse — ihr Energiefeld aber, das sie erzeugen, sorgt für eine gigantische Spannung.
Und so überfordern sie ihr Umfeld permanent, sie sind so missionarisch und intensiv, so narzisstisch und schnell, dass andere nicht mitkommen. Sie sind einfach zu krass. „Er tut, was er will, und dabei ist er gnadenlos“, hat Elon Musks Exfrau Justine einmal über den Tesla-Gründer gesagt.
Kalanick führt die Liste der genialen Aggressoren vermutlich an vor allem, weil er eine ganze Unternehmenskultur darauf baute. Und er tat dies in einer neuen Zeit, in der durch Twitter, Youtube und Smartphones alles dokumentiert, veröffentlicht und verbreitet wird. Von den Ausrastern von Jeff Bezos oder Steve Jobs erfuhr die Welt erst spät.
Hinzu kommt: Uber erfährt eine hohe und hypernervöse Aufmerksamkeit. 8 Mrd. Dollar hat der Fahrdienst seit Gründung verbrannt, 2,8 Mrd. Dollar betrugen die Verluste allein 2016. Fast „too big to fail“.
War aber das Übel, das Uber für viele heute verbreitet, wirklich unvermeidlich?
Streng genommen ist Kalanick nicht der Gründer von Uber, die Idee hatte der Kanadier Garrett Camp, der aber operativ nie zu dem Unternehmen stieß. Als Kalanick kam, hieß Uber noch UberCab, war ein Limousinenservice und hatte gerade mal gut 400 Fahrten vermittelt. Der Slogan „Everyone’s Private Driver“.
Kalanick steuerte — als Camp und er, so will es die Legende, auf dem Eiffelturm waren – die entscheidende Idee bei: Camp wollte einen Limousinenfuhrpark aufbauen. Warum die Autos besitzen? , fragte Kalanick. Es reiche doch, eine Plattform zu sein.
In den ersten Monaten ging Uber noch besonnener vor, testete die Vermittlung von Autos erst in San Francisco, breitete sich Stadt für Stadt aus. Es gab ein festes Drehbuch, man erzeugte „Buzz“, engagierte Schauspieler und Techgrößen als Testimonials, versuchte, durch PR auch Behörden für sich zu gewinnen. „Celebrate the City“ war eine der Losungen, die Uber ausgab.
Die Lautstärke und Aggressivität war dennoch von Anfang an in der DNA. Uber eroberte bald Städte per „Guerilla-Attacke, ohne den Feind vorher zu warnen“, schreibt Autor Lashinsky. Der Fahrdienst gab sich 14 Unternehmenswerte, darunter „Kundenbesessenheit“ und „Always Be Hustlin'“, was übersetzt heißt: Immer weiter drängen, hetzen – aber auch etwas schwindeln.
Uber wuchs so schnell, dass es offenbar die Kontrolle über sich selbst verlor. Und dieses Wachstum und Kalanicks Persönlichkeit, der Lashinsky einen „schockierenden Mangel an Empathie“ bescheinigt, verhielten sich spiegelbildlich.
Der Regelbruch wurde System — wenn Uber gegen Arbeitsgesetze und Beförderungsbestimmungen verstieß, stritt man sich vor Gericht, ignorierte Beschlüsse, spielte Politiker gegeneinander aus und nötigte Behörden, die Regeln zu ändern. Uber brach mit Dumpingpreisen den Taximarkt auf, die immer neu gefüllte Wagniskapitalschatulle erlaubte Jahre mit Verlusten.
Besonders deutlich wurde Ubers rabiates Vorgehen, als 2012 in den USA ein Konkurrent namens Lyft auftauchte, mit einem pinkfarbenen Schnurrbart als Logo. Lyft setzte nicht auf Limousinen, sondern auf normale Autos. Uber war „Lifestyle und Logistik“, wie Kalanick einmal sagte, Lyft simples Ridesharing.
Kalanick lieferte sich bald auf Twitter Gefechte unter dem Hashtag #clone — obwohl eher Lyft das Original war und Uber sich genötigt sah, den Premiumservice als UberBlack anzubieten — und daneben UberX mit Amateurfahrern aufzubauen.
Uber startete „Operation SLOG“, bestellte bei Lyft mit anonymen Telefonen Autos und stornierte sie wieder, warb Lyft-Fahrer teuer ab. Wieder einmal half dabei Kalanicks Geschick, bei Investoren immer neues Geld einzuwerben.
So wuchs Uber schneller, aber das Image litt. Spätestens 2014, resümiert Uber-Autor Lashinsky, wandelte sich das Image vom „disruptive darling“ zum „brash bully“, zum dreisten Rüpel — Uber führte fortan einen „Mehrfrontenkrieg“.
Nach und nach drang nach außen, wie Uber arbeitete und wie es ist, bei Uber zu arbeiten. Selbstausbeutung war die Regel, das Leben musste mit der Arbeit verschmelzen. Einmal flog Kalanick mit seinem Team nach Australien, um dort Urlaub zu machen – und weiterzuarbeiten. „Workation“ wurde das genannt.
Sehr Merkwürdig
Vor einigen Monaten dann schrieb Susann Fowler, eine ehemalige Uber-Programmiererin, in einem Blogeintrag über ihr „sehr, sehr merkwürdiges Jahr bei Uber“. Sie berichtete über systematische Diskriminierung und Missmanagement. Gleich nach ihrem Start hatte ihr Chef sie per Firmenchat zum Geschlechtsverkehr eingeladen. Fowler beschwerte sich, aber die Personalabteilung spielte das Ganze herunter. Nach und nach verließen fast alle Frauen das Team.
Kalanick selbst prägte die Kultur. Er nannte sein Unternehmen in einem Interview einmal „Boob-er“ — ein Wortspiel mit dem amerikanischen Wort für Brüste —, weil ihm seine Machtposition Sex mit so vielen Frauen ermögliche.
Später kam heraus, dass Uber nicht nur Regeln brach, sondern auch Kontrolleure betrog, indem in die App falsche Daten eingespielt wurden. „Greybnll“ heißt das Programm, US-Staatsanwälte ermitteln deswegen. Kaum eine Woche verging, in der nicht ein neuer Skandal öffentlich wurde. Etwa der von dem Kalanick-Vertrauten Emil Michael, einer Art Strategiechef, der ebenfalls Uber verlassen musste.
Auch Michael war einerseits erfolgreich, warb massenweise Fahrer an, indem er unter anderem mit General Motors und Toyota Rabatte aushandelte. Aber er hatte auch versucht, die Vergewaltigung einer Kundin durch einen Uber-Fahrer in Indien als PR-Trick der Konkurrenz abzutun. Er wusste von sexuellen Belästigungen und unternahm nichts.
Und er steckte hinter dem Versuch, aus Uber-Fahrten, dem Familienstand oder anderen persönlichen Daten kritischer Journalisten belastendes Material gegen diese zusammenzustellen. Nach dem Motto: Wir wissen, wenn jemand fremdgeht. Daten waren bei Uber nie heilig — sie wurden, auch als Machtinstrument gesehen: Man habe, so hieß es, „Gottes Blick“ auf die Daten der Nutzer.
Wohin man also blickt bei Uber: Genie und Wahnsinn. Immer eng beieinander. Nur dass der Wahnsinn überhandnahm, weil das Wachstum zu ungestüm war.
Kalanick konnte die Skandale nicht bremsen – und hat etliche befeuert. Einmal geriet er in einen Streit mit einem Uber-Fahrer und beschimpfte ihn wüst — ein Video davon landete im Netz. Er müsse sich „fundamental ändern und erwachsen werden“, räumte er danach ein. Immer wieder gab es Boykottaufrufe. Viele Kunden löschten nach manchen Eskapaden ihre Uber-App, der Hashtag #DeleteUber verbreitete rasch sich im Internet.
Und das derzeit gefährlichste Problem wird Uber auch ohne Kalanick weiter beschäftigen: Die Google-Schwesterfirma Waymo klagt, weil Uber angeblich von ihr gestohlene Technologie für selbstfahrende Autos nutze. Um den Niedergang zu stoppen, heuerte Uber den ehemaligen US-Justizminister Eric Holder und dessen Kanzlei Covington & Burling an, die die Vorwürfe untersuchen. 200 Beschwerden gingen bei Holder ein, sie reichen bis in das Jahr 2012 zurück. Seine Änderungsvorschläge fangen beim Grundsätzlichen an: den 14 Grundwerten — „anderen auf die Zehen treten“ und „charakterstarke Konfrontation“ kamen bei Holder nicht gut an. Noch bevor er seine Untersuchung veröffentlichte, warf Uber 20 Mitarbeiter wegen Belästigung, Diskriminierung und unangemessenem Verhalten raus. Sieben weitere haben „letzte Warnungen“ erhalten, 31 wurden in Schulungen geschickt. Uber benannte den „War Room“, einen Konferenzraum für kritische Situationen, in „Peace Room“ um. Der Personalleiter forderte die Teilnehmer eines Meetings zu Umarmungen auf. Doch alle Versuche, die Konzernkultur zu kitten und das Image zu retten, kamen zu spät. Uber, sagt Lashinsky, sei inzwischen eine „Karikatur der Kultur des Silicon Valley“.
Nun ist das Vakuum an der Spitze offenkundig. Uber fehlten zeitgleich: ein Vorstandsvorsitzender, ein Technikchef, ein Finanz- und Marketingvorstand, ein Chefjustiziar, ein Vorstand für das operative Geschäft und ein President, also die Nummer zwei. Einige dürften in diesen Wochen neu besetzt sein — aber sie werden Zeit brauchen, die Kultur zu ändern.
Kalanick musste weg, er war für die Investoren zu teuer geworden. Es galt als ausgemacht, dass bei der nächsten Finanzierungsrunde sich die Bewertung von fast 70 Mrd. Dollar nicht mehr wird halten lassen. Ein Börsengang scheint angesichts der Skandale zu riskant.
Die Managementberatungsfirma cg42 hat herausgefunden, dass neben den Nutzern, die Uber bereits boykottieren, 26 Prozent einen Wechsel zur Konkurrenz planen. Eine andere Studie wertete US-Kreditkartenzahlungen aus und ermittelte, dass Ubers Marktanteil seit Jahresanfang von 84 auf 77 Prozent gefallen ist. Von einer App zur nächsten lässt sich leicht wechseln, leichter als von einem Smartphonehersteller zum anderen.
Die Investoren wollen den Niedergang stoppen — und das ging nicht mit Kalanick an der Spitze. Kalanick ist also nicht zum Rücktritt gedrängt worden, weil ihn die Investoren für einen Widerling hielten. Er musste gehen, weil seine Widerlichkeit dem Wert des Unternehmens schadete. „Du kannst nur ein Arschloch sein, solange du erfolgreich bist“, sagt Robert Sutton, Professor in Stanford und Autor des Buchs „The No Asshole Rule“. Er kommt zu dem Schluss, dass „solch destruktive Charaktere ihren Mitmenschen schaden“ und „die Leistungsfähigkeit von Organisationen untergraben“.
Ob es allerdings ohne Kalanick so atemberaubend weitergeht, ist mehr als fraglich. Uber hat eine ganze Reihe an Problemen, die mit seinem Abgang nicht verschwinden: darunter der Rechtsstreit mit Google, der die Pläne mit fahrerlosen Autos unmöglich machen könnte.
Die von Kalanick in acht Jahren über alle Führungsebenen geprägte Kultur wird sich auch nicht so einfach abschütteln lassen. Die Kultur, die Uber groß gemacht hat, ist gleichzeitig vergiftet.