Boston. Kaum hatte General-Electric-Chef Jeffrey Immelt vor einem Jahr verkündet, die Konzernzentrale vom verschlafenen Connecticut ins quirlige Boston zu verlegen, fand er gleich eine schöne, neue Bleibe: eine Backstein-Villa mit vier Schlafzimmern, drei offenen Kaminen und einer holzgetäfelten Bibliothek, nahe dem Boston Public Garden. Den Kaufpreis, acht Millionen Dollar, konnte er um eine halbe Million runterhandeln.
Immelt schien sich auf einige weitere Jahre an der GE-Spitze einrichten zu wollen. Doch er hat sich verrechnet. Mitte Juni verkündete der Board of Directors überraschend seine Ablösung zu Anfang August, nach fast 16 Jahren als CEO. Ab Jahresende soll Nachfolger John Flannery zusätzlich Immelts Chairman-Posten übernehmen. Seine Villa kann Immelt dann richtig genießen – als Ruheständler.
GE gab sich alle Mühe, den Abschied als geordneten Übergang darzustellen, der seit 2011 vorbereitet sei. Investoren wie Analysten indes fehlt der Glaube. „Abrupte Veränderungen wie diese bedeuten in der Regel, dass die Dinge noch schlechter laufen als bislang bekannt“, befand J.-P.-Morgan-Analyst Stephen Tusa.
Sosehr Immelt Amerikas Industrieikone bis zuletzt unermüdlich umbaute, Sparten wie GE Capital und die Hausgeräte abstieß, das Energiegeschäft der französischen Alstom zukaufte und GES Öl-und Gasedivison mit dem Rivalen Baker Hughes fusionierte – bei den Aktionären mit Nelson Peltz‘ (74) aktivistischem Fonds Trian an der Spitze verlor er zuletzt erdrutschartig an Glaubwürdigkeit.
Zu oft verfehlte Immelt seine Prognosen. Seit vielen Quartalen bleiben die Cashflows immer weiter hinter den veröffentlichten operativen Gewinnen zurück, was so manchen Investor grundsätzlich an der Bilanzierung von GE zweifeln lässt. Für Immelt besonders ärgerlich: Der lang abgeschlagene Rivale Siemens wuchs zuletzt stärker. Dank solider Ergebnisse, einer Führungsposition beim industriellen Internet und der Aussicht auf weitere Ausgliederungen stehen die Münchener bei den Anlegern hoch im Kurs.
GE dagegen patzt. Die Erfolge der Milliardeninvestitionen ins Digitalgeschäft lassen auf sich warten, Alstom ist anderthalb Jahre nach dem Kauf immer noch ein Klotz am Bein. Die Fusion mit Baker Hughes gerät wegen des niedrigen Ölpreises viel zu teuer, wie Immelts gesamte Einkaufstour im Öl-und-Gasgeschäft.
Selbst im Kraftwerksbau, neben den Flugzeugturbinen GES Paradedisziplin, läuft es nicht mehr rund. Ein Auftrag nach dem anderen geht verloren, eine Megaorder über acht Milliarden Euro für die Erneuerung der Stromerzeugung in Ägypten gewann 2015 Siemens, mit dem Versprechen rekordverdächtig kurzer Lieferfristen. Als Divisionschef-Willi Meixner das Projekt vor Monaten auf einer Konferenz in Korea vorstellte, stand GE-Power-CEO Steve Bolze im Publikum auf, um die Folie mit den Lieferzeiten mit seinem Smartphone abzufotografieren.
Bolze galt jahrelang als aussichtsreichster Nachfolger Immelts; in Korea trat er auf, als wenn er schon GE-Chef wäre. Zuletzt fehlte ihm aber operativ die Fortüne. Mitte Juni trat mit Immelt auch Bolze zurück.
Flannery hat dagegen relativ wenig Erfahrung in der Führung von Industriegeschäften. Über zwei Jahrzehnte lang durchlief er diverse Stationen bei GE – bis der Finanzarm auf dem Höhepunkt der Krise 2009 den gesamten Konzern an den Rand des Ruins manövrierte. Für die Sparte GE Healthcare war er nicht mal drei Jahre lang verantwortlich, das aber erfolgreich.
Der neue CEO ist nicht allererste Wahl, das zeigt schon seine Vergütung. Das Gehalt in cash liegt bei nur gut drei Fünfteln des Immelt-Salärs und ist zum Teil an das Erreichen der Geschäftsziele geknüpft.
Investorenwünschen nach einer Zerschlagung scheint er erst mal nicht entgegenkommen zu wollen. GE habe ein starkes Portfolio, in dem die Geschäfte voneinander abhingen, argumentiert Flannery. Das sehe er ähnlich wie Immelt. Im März erklärte er, eine Abspaltung seiner Medizintechniksparte werde es nicht geben.
Jetzt nimmt er sich bis Herbst Zeit, einen neuen strategischen Plan vorzulegen. Dass er dabei auch die Prognosen nach unten revidiert, gilt unter Investoren als ausgemacht. So schnell werden die schlechten Nachrichten von GE also nicht enden.
Bei Siemens muss sich mancher im Zaum halten, nicht in Triumphgeheul auszubrechen. Für Schadenfreude, so schrieb es Konzernchef Joe Kaeser an sein oberstes Management, gebe es keinen Grund. Na dann.