Essen. Der Mann denkt gern groß. Seit 2015 widmet sich Peter Terium, Chef der RWE-Grünstromtochter Innogy, als Mitglied der Energy Transitions Commission globalen Klimafragen. Mit dabei: Hochkaräter wie der frühere US-Vize Al Gore, der britische Ökonom Nicholas Stern, aber auch Multis wie General Electric und Shell.
Als „überzeugter Europäer“ hat der Niederländer zudem ein Bündnis zur Rettung Europas initiiert. Alliierte: unter anderem Airbus, BMW, Deutsche Bank.
Ende Juni schließlich war es Terium „eine große Ehre“, dem niederländischen Königspaar Willem-Alexander und Maxirna bei einem Deichspaziergang die Vorzüge des neuen Windparks am Ijsselmeer zu erklären, den Innogy mit zwei Projektpartnern betreibt.
Die aufgeheizte Erde, die Erosion Europas und wissbegierige Majestäten Teriums Hang zum Repräsentieren passt so gar nicht zur nüchternen Realität von Innogy. Bei der Konsolidierungswelle, die sich in Europa aufbaut, ist die Firma Getriebene, nicht Handelnde. Die Muttergesellschaft RWE (sie hält 77 Prozent) sieht Innogy als Verfügungsmasse, spricht von „Klumpenrisiko“. In den vergangenen Wochen reihten sich Übernahmespekulationen, Kurssprünge und halbherzige Dementis aneinander wie Rotoren an der Nordseeküste.
Der französische Energieriese Engie hat offenbar die Details eines Zusammenschlusses geprüft und den Deal bereits mit der neuen Regierung von Emmanuel Macron besprochen. Innogy hat sich derweil schon mal Informationen über Engies Stärken besorgt. Vorsorglich. Ende Juni bekundete Chefin Isabelle Kocher dann doch, „kein Interesse“ zu haben. Vorerst jedenfalls.
Klar ist: Innogy braucht die Hilfe eines Wirkmächtigeren. Das junge Unternehmen wirkt zu fragil, um dauerhaft erfolgreich wirtschaften zu können.
Anfang Juni formulierten die VKA-Verbände, die Interessenvertreter der bei RWE investierten Kommunen, ein mehrseitiges Schreiben („Erwartungen der Kommunen an die Innogy SE“), das im Ton freundlich, aber bestimmt gehalten war. Der RWE-Großaktionär (23 Prozent) fordert eine „erfolgreiche Geschäfts- und Wachstumsstrategie“ ein. Es bestünde „zeitkritischer Ausbaubedarf“, heißt es weiter, damit neue Märkte „nicht anderweitig verteilt werden“.
Die Anteilseigner sorgen sich zu Recht.
Das Geschäft ruht auf drei Säulen: Innogy unterhält Energienetze (das regulierte Business sorgt für knapp zwei Drittel der Erträge), betreibt Windkraftund Solaranlagen, verkauft Strom und Gas. Das Problem: Die Statik wackelt, die Wachstumsaussichten sind mittelfristig mau, die Margen schwinden.
Die Düsternis legt sich über alle Geschäftsfelder. Die Netzrenditen sinken, weil die staatlich garantierte Verzinsung ab 2018/19 niedriger ausfällt. Das Unternehmen verliert Konzessionsgebiete, weil immer mehr Kommunen das Geschäft selbst betreiben wollen.
Die Windmühlen unterliegen mittlerweile betonhartem Wettbewerb. Bei Ausschreibungen neuer Hochseeanlagen gewinnen Bieter, die komplett ohne Förderhilfe durch das sogenannte EEG auskommen. Auch bei der Landstromvergütung herrscht Flaute. Weil Innogy aufgrund der hohen Gemeinkosten nur schwer mithalten kann, bekommt COO Hans Bünting, für erneuerbare Energien zuständig, Probleme, sein Geld zu investieren. Im Zukunftsmarkt USA fängt Innogy gerade erst an, Konkurrent Eon hat dort bereits mehr als die Hälfte seiner gesamten Grünkapazität verbaut.
Das Stammgeschäft Vertrieb leidet gleich an mehreren Stellen. Bei Geschäftskunden zahlt das Unternehmen drauf; Innogy selbst spricht von „irrationalen Preisen“. Bei Privathaushalten schrumpfen die Deckungsbeiträge, seitdem Verbraucherportale Transparenz schaffen. Die Wechselraten, früher in homöopathischen Sphären, sind mittlerweile zweistellig.
Im Ausland holt sich Innogy ebenfalls bilanzielle Blessuren. In den Niederlanden und Belgien verlor der Konzern im letzten Geschäftsjahr 225 000 Kunden. Und das Engagement auf der britischen Insel ist ein Desaster. Erst schönte das selbstverliebte Management von Npower die Zahlen. Als Terium das Personal austauschte, versagte die Abrechnungssoftware. Die Sanierung kam so schleppend voran, dagegen ist der Brexit ein Schnellverfahren.
Mittlerweile zeigen sich zwar erste Erfolge, aber nun revoltiert – ja, so kann’s gehen — der Markt. Neue Wettbewerber kommen auf, die Regierung sinniert über Preisobergrenzen, alles zulasten der Margen. Seit 2015 haben sich mehr als 240 Millionen Euro Verluste angehäuft; 2017 kommen weitere hinzu. Morgan-Stanley-Analysten rechnen mit knapp 40 Millionen Euro.
Allmählich verlieren die Aufsichtsräte die Geduld. Bevor weitere knallrote Ziffern das Rechenwerk ruinieren, so ein Kontrolleur, müsse man über einen Verkaufvon Npower nachdenken. Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Der Konzern geriert sich als Start-up mit 40 000 Mitarbeitern. Alles hip, alles leger, alles gesund. Es gibt eine kostenlose Fitness-App und Fruchtsäfte an allen Standorten. Wer eine Krawatte trägt, muss damit rechnen, dass ihm kondoliert wird wegen eines mutmaßlichen Trauerfalls in der Familie. Die Werbung, die Innogy als „arm, aber sexy“, „grün und geil“ intoniert, erregt Aufsehen. Der Innovation Hub, Chef Terium unterstellt, dass Schmitz selbst investiere, in neue Erzeugungsanlagen und Energiespeicher. Auch das kostet Geld.
Der Druck auf Terium bleibt hoch. Insider halten es deshalb nicht für einen Zufall, dass Innogy-Finanzvorstand Bernhard Günther Mitte Juni in einem Interview mit der „Börsen-Zeitung“ in den Mantel der Mutter schlüpfte und gleich mehrere Gründe für einen Innogy-Verkauf anführte („Vermutlich wären aus Sicht RWE verschiedene Aspekte abzuwägen …“).
Bei einem Komplettverkauf an einen Marktgiganten könnte Terium allerdings seinen Job verlieren. Am liebsten wäre ihm zweifelsohne ein höherer Streubesitz samt Aufstieg in die erste Dax-Liga. RWE könnte beteiligt bleiben, aber Terium hätte mehr Autonomie. Auch dem Selbstwertgefühl täte ein solcher Schritt gut.
Zwar hat Innogy via Grundlagenvertrag nach dem Börsengang durchgesetzt, dass Schmitz sich nicht ins Alltagsgeschäft einmischen darf. Zudem zog statt des CEOs RWE-Finanzer Markus Krebber als Vertreter des Großaktionärs in den Innogy-Aufsichtsrat ein.
Doch Krebber, ein pfiffiger und resoluter Ex-Banker, achtet penibel auf die Zahlen. Schmitz kann es sich erlauben, eher im Hintergrund zu wirken. Zumal vieles dafür spricht, dass Werner Brandt, der beiden Aufsichtsräten vorsitzt, den erfahrenen Energiemanager ab und an beiseitenimmt, um von ihm zu erfahren, was er von dieser und jener Innogy-Facette hält. Offiziell sagt Schmitz, er sei mit den Innogy-Erträgen „hochzufrieden“. Im kleinen Schaltkreis hingegen mahnt er: „Die IPO-Feierlichkeiten sind vorbei. Jetzt muss geliefert werden.“ Schmitz betrachtet Innogy auflange Sicht als „Klumpenrisiko“ — was für Zartfühlende den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als das finanzielle Wagnis zu streuen, so wie ein Beteiligungsmanager.
Der Aufsichtsrat hat beim Börsengang gelobt, mindestens 51 Prozent von Innogy behalten zu wollen. Doch das, sagt ein Kontrolleur, sei kein Dogma: „Wir müssen es flexibel handhaben.“ Die Verlockung liegt im Preis: Wird die Mehrheit abgegeben, ist ein Aufschlag, eine sogenannte Kontrollprämie, fällig. Fusionshelfer kalkulieren in solchen Fällen mit rund 20 bis 30 Prozent.
Schmitz sieht sich nicht in akutem Handlungszwang. Man darf indes den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. EZB-Chef-Mario Draghi will die EU-Geldpolitik lockern, für 2019 werden steigende Zinsen erwartet. Dann sinkt die Attraktivität der Netze, eine konservative Geldanlage, und damit der Innogy-Kurs.
Zuletzt wurde die Aktie vor allem von einem Pfeiler gestützt, und der heißt Übernahmefantasie.
Für Innogy könnte sich eine Allianz mit einem größeren Partner auszahlen: Hilfe bei der Internationalisierung, eine stärkere Finanzkraft, um das Geschäft mit grüner Stromerzeugung zu pushen, Kostensynergien, Jobs fürs Management in einem wirklich globalen Konzern — das Leben könnte so schön sein.
Für die Goldman-Sachs-Experten bleibt Innogy „ein M&A-Kandidat“ — zumal sich die ganze Branche in Europa konsolidiert. Eon will ab dem kommenden Jahr die
restlichen Anteile der Kraftwerkefirma Uniper verkaufen. Potenzielle Interessenten: Finnlands Staatskonzern Fortum, Tschechiens Kohleriese EPH. Und Anfang Juli zirkulierten Merger-Gespräche zwischen den Powerhäusern Gas Natural (Spanien) und EDP (Portugal) in den Medien – das wäre ein satter 35-Milliarden-Euro-Deal. Who’s next? Nur eine Woche später war Britanniens Centrica im Visier vermeintlicher Übernehmer.
Treiber der Konsolidierung ist eine schlichte Erkenntnis: Organisches Wachstum wird immer mühsamer und dauert länger. Ökonachzüglerwie Frankreichs Großstromer Engie und EDF wollen grüner werden . Mit einem geschickten Einkauf gelangen sie schneller ans Ziel.
Auch die Politik sponsert das Steckdosen-M&A. Der französische Präsident Macron gilt als treuer Fan europäischer Champions, seine Landsleute sind begeistert von einem Airbus der Energie.
Erfahrungswerte gibt es zuhauf, zumindest was deutsch-französische Flugversuche angeht. Zur Jahrtausendwende buhlte RWE erst vergeblich um den Engie-Vorläufer Suez, kettete sich dann an Vivendi und verzweifelte an der Durchtriebenheit des damaligen Vivendi-Großmeisters Jean-Marie Messier. Wenig später war eine Fusion zwischen Veba (später Eon) und Suez im Stillen weitgehend ausgehandelt, bis zur Sitzfrage (Brüssel). Dann kam die Chose zu schnell ans Licht und scheiterte.
Schon damals saß der heutige Engie-Chairman Gérard Mestrallet mit am Verhandlungstisch. Frankreichs Managerlegende ist Deutschland-affin und bleibt auf der Suche nach Übernahmezielen. Als er 2012 ein neues Boardmitglied suchte, wollte er jemanden, der sich in Corporate Germany gut auskennt. Seine Wahl fiel auf Multiaufseherin Ann-Kristin Achleitner.
Sollten die Gespräche wieder aufgenommen werden, dann wäre eine Sache definitiv anders. Heute, eine Energiewende und zwei Spin-offs später, wären die Teutonen bestenfalls Juniorpartner.