Schwanau-Allmansweier.
Seine Vorträge beginnt Martin Herrenknecht gern mit dem Satz – wahlweise auf Badisch oder Englisch: „We are working legally in the underground.“ Und schon hat der ältere Herr mit dem weißen Haarkranz die Lacher auf seiner Seite. Die Zuhörer wissen, dass da kein Mafioso vor ihnen steht, sondern ein gestandener Unternehmer, der innerhalb von etwas mehr als vier Jahrzehnten in seiner Nische einen Weltkonzern geschaffen hat — die Herrenknecht AG mit Sitz im südbadischen Schwanau-Allmansweier. Wo immer auf dieser Welt ein Tunnel gebohrt werden muss, sind seine Maschinen in der engeren Wahl. Ob durch die Alpen oder unter dem Bosporus, ob durch Granit oder weiche Böden — Herrenknecht hat meist die passenden Bohrer. Und wenn er sie noch nicht hat, entwickelt er sie eben. Der Tüftler Martin Herrenknecht ist der Prototyp des globalen Mittelständlers, die gerade in Deutschlands Südwesten gedeihen wie Kirschen im Juni. In Allmannsweier, ein paar Kilometer südlich von Offenburg, führte sein Vater eine kleine Polsterei mit zwölf Beschäftigten. Irgendwann, als der strenge Papa den kleinen Martin mal wieder maßregelte, sagte dieser trotzig: „Und wenn ich groß bin, habe ich doppelt so viele Beschäftigte wie du.“ Es sind tatsächlich etwas mehr geworden, exakt 4798 Mitarbeiter, Stand Mitte Juni. Der Weg vom Maschinenbauingenieur zum Inhaber eines Weltkonzerns war weit, und buchstäblich steinig. Zum ersten Mal in Kontakt mit der Unterwelt kam er als Konstruktionsleiter im schweizerischenSeelisberg-Tunnel. Solche Maschinen, die sich da durchs Gestein fraßen, wollte er auch bauen, nur besser. Seine Mutter Elsa lieh ihm 25 000 Mark, damit er überhaupt anfangen konnte. „Es war sauschwierig, die ersten Maschinen zu verkaufen“, erinnert er sich. „Wir waren auch mal kurz pleite.“ Aber mit seiner Hartnäckigkeit und Schlitzohrigkeit gelang es ihm, die Kunden zu überzeugen. Seine ersten Maschinen hießen MH 1 und MH 2, mit der MH3 schließlich schaffte er den Durchbruch, er verkaufte 500 Stück davon.
MH steht für Martin Herrenknecht und signalisierte von Beginn an, dass nur einer das Sagen hat, bis heute. Die ersten Maschinen hatten einen Durchmesser von 1,2 bis 4 Meter. Heute misst das Prachtstück in Herrenknechts Produktpalette über 17 Meter.
Der zweite Garant des Erfolgs, neben der Innovationsfreude, ist Herrenknechts Netzwerk. Seine Auftraggeber sind meist staatliche Stellen. Da können gute politische Kontakte nicht schaden. Er ist bestens verdrahtet in die deutsche und internationale Politik. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer Wirtschaftsentourage auf Reisen geht, ist Martin Herrenknecht meist mit in der Maschine. „Insbesondere die Chinesen legen viel Wert darauf, dass du in Regierungsdelegationen dabei bist“, sagt Herrenknecht, der auch in China eine Produktion hat. Wo immer in Chinas Städten eine Metro gebaut wird – und das sind sehr viele -, bohren sich seine Giganten durch die Erde des kommunistischen Landes. Herrenknecht ist Merkels Lieblings-Mittelständler. Zehnmal pro Jahr ist er im Schnitt mit der Kanzlerin oder einem ihrer Minister in aller Welt unterwegs. Wobei das CDU-Mitglied Herrenknecht keine Berührungsängste mit Politikern anderer Couleur hat. Auch mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) kann er. „Kretschmann ist ein relativ vernünftiger Politiker“, sagt Herrenknecht, nachdem ihn dieser in seinem Büro und Werk besucht hatte. Lieber sind ihm allerdings die Sozialdemokraten, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel und vor allem Gerhard Schröder. Vor 15 Jahren haben sie sich auf einer Kanzlerreise nach China kennengelernt. Schröder: „Wir haben uns gleich auf Anhieb verstanden.“ Zwei hemdsärmelige Machertypen treffen da aufeinander. Herrenknecht lobt Schröders Agenda 2010, Schröder Herrenknechts Power: „Er arbeitet wie seine Maschinen – immer unter Hochdruck.“ Eine Freundschaft, die bis heute anhält, sich sogar intensiviert hat. Seit Anfang des Jahres ist der Altkanzler stellvertretender Aufsichtsratschef der Herrenknecht AG.
Die beiden gehen auch zusammen auf Goodwill-Reisen. Kürzlich erst waren sie in der Türkei und dann Wochen später in Ägypten. Zwei Stunden lang saßen die beiden bei Staatschef Sisi. Da wird dann nicht nur über Politik, sondern auch über Geschäfte geredet, wie etwa den Bau eines Tunnels unter dem Suezkanal.
Sisi bat Herrenknecht, 40 ägyptische Ingenieure für sechs Wochen auszubilden. Das macht der gern. Herrenknecht lädt häufig junge Ingenieure aus arabischen Ländern, Russland oder China zur Weiterbildung ins eigene Unternehmen ein. Oder er finanziert ihnen einen Teil des Ingenieurstudiums in Deutschland. „Das sind unsere besten Botschafter.“
Gerade hat er dem saudischen Königshaus versprochen, sechs junge Manager nach Baden-Württemberg einzuladen, damit die den deutschen Mittelstand erleben lernen. „Die haben doch keine Ahnung, was das ist. Die kennen doch nur Großunternehmen.“ Dass er mit dieser privaten Entwicklungshilfe möglicherweise Rivalen von morgen heranzüchtet, bereitet ihm keine Sorgen.
Er hat auch keine Angst vor den Chinesen, seinen größten Wettbewerbern. Sie haben in den vergangenen Jahren fast alle Konkurrenten in der westlichen Welt aufgekauft – bis auf Herrenknecht: „Wir sind jetzt im Westen die letzten Mohikaner“, sagt er. Er liebt dieses Duell mit Fernost: „Du brauchst im Leben immer einen scharfen Konkurrenten, an dem du dich abarbeiten kannst. Sonst wird dir das zu wohl.“
Dass es ihm gelingt, den Chinesen zu trotzen, hat zwei Gründe, die im Tunnelbau alles entscheidend sind. Die Erfahrung und der Service, wenn ein Projekt erst mal angelaufen sei. Denn es kommt des Öfteren vor, dass die Geologie unvorhergesehen wechselt. Das bereitet Herrenknechts Konkurrenten aus Fernost nicht selten große Probleme, ihm nicht. „Wir kennen inzwischen alle Geologien der Welt, die Chinesen nicht.“
Und dann erzählt er die Story von der kürzlich erfolgten Untertunnelung des Bosporus. Dort mussten sie an der schwierigsten Stelle mit Tauchern den Steinbrecher wechseln. „Das hätten die Chinesen nie geschafft“, sagt er mit sichtlichem Stolz.
Ob national oder international – Herrenknecht bewegt sich mit Vergnügen im Grenzbereich zwischen Politik und Wirtschaft. Er ist ein hochpolitischer Mensch, was unter Managern und Unternehmern eher selten vorkommt. Er liest oft populäre Sachbücher, derzeit Ingo Zamperonis „Fremdes Land Amerika“, kann fachmännisch über die unterschiedlichen Strömungen des Islam referieren und erklärt der Kanzlerin bei Bedarf, wie er sich die richtige Afrika-Politik vorstellt.
Herrenknecht wollte früher sogar für den Bundestag kandidieren, er hat seine ganz eigenen Vorstellungen vom Parlamentarismus: „Ins Parlament einer Exportnation gehören nur Leute, die entweder fünf Jahre in der Wirtschaft oder im Ausland gearbeitet haben.“ Einige der Herrschaften im Bundestag doch nicht mal, wie viele Nullen eine Milliarde hat, lästert er.
Das ist einer dieser so typischen Herrenknecht-Sprüche. Er sagt eben, was er denkt. Diplomatie ist nicht so seine Sache. Immerhin, im Auswärtigen Dienst sieht er zunehmend wirtschaftliche Kompetenz. „Viele der Botschafter sind heute Vertreter der Deutschland AG.“ Das habe sich in den vergangenen 30 Jahren enorm verändert.
Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit: „Ja, der Martin, das ist mein Freund“, sagt ein Botschafter, der ihn seit Jahren kennt, aber natürlich nicht genannt werden darf. Hat der Vielreisende ein Lieblingsland? Die Antwort kommt spontan: „Die Schweiz“. Kurze Pause, dann sprudelt es aus ihm heraus: Auch Singapur, Hongkong, Neuseeland, Argentinien, Ecuador, Panama und natürlich Kolumbien, die Heimat seiner Frau, die er beim Urlaub in Florida am Swimmingpool kennenlernte.
Heute hingegen macht er Urlaub „am liebsten daheim am Baggersee“. Bei aller Weltläufigkeit liebt er das Bodenständige, seine badische Heimat und sein alemannisches Idiom, das er wie sein südbadischer Landsmann Joachim Löw pflegt.
Fußball, Leichtathletik — Herrenknecht sieht vielleicht nicht so aus, aber er ist ein leidenschaftlicher Sportfan. Er mag die großen Sportarenen, war bei fast allen Olympischen Spielen der vergangenen Jahrzehnte dabei, noch mehr indes liebt er die Sportplätze in der Provinz. Zum Beispiel den der SG Nonnenweier-Allmannsweier, Kreisliga A Süd. Wann immer er Zeit hat, stellt er sich am Sonntag an den Spielfeldrand und guckt zu. Zumal Sohn Martin-Devid mit der Nummer 14 im Mittelfeld ab und zu mitkickt. Herrenknecht senior ist Ehrenmitglied des Vereins, und wenn der Klub ein neues Sportheim braucht, übernimmt das der Unternehmer.
Golf, den Sport der Wirtschaftselite, hat Herrenknecht auch mal ausprobiert. Für ein paar Stunden in Spanien. Danach war für ihn klar: „Golfspieler sind Deppen.“ Das harsche Urteil hat er inzwischen revidiert, seit sein älterer Bruder Dieter unter die „Deppen“ gegangen ist. Er selbst aber würde nie stundenlang Bälle in kleine Löcher schlagen, wo er doch so gern große Löcher durch die Erde bohrt.
In der Jugend war Herrenknecht Leichtathlet. Die 100 Meter sei er in 10,9 Sekunden gesprintet, heißt es. „Handgestoppt!“ Bis heute ist er seiner alten Sportart als Mäzen verbunden, „weil die Leichtathleten doch arm dran sind“. Er sponsert deshalb den Ex-Kugelstoß-Weltmeister David Storl, die Speerwerfer Christina Obergföll und Thomas Röhler sowie die Siebenkämpferinnen Carolin Schäfer und Jennifer Oeser.
Oeser sah er bei der Weltmeisterschaft 2009 im abschließenden 800-Meter-Lauf stürzen, sich aufrappeln, weiterlaufen und noch Silber gewinnen. Am nächsten Tag rief er sie an und bot ihr finanzielle Unterstützung an. Das sei typisch für Martin Herrenknecht, sagt Gerhard Schröder. Er sei eben auch ein „sehr einfühlsamer und sehr hilfsbereiter Mensch“.
Sein Personal Trainer ist natürlich auch ein ehemaliger Leichtathlet: Boris Obergföll, geborener Henry, ein früherer Speerwerfer von Weltklasse. Mit ihm absolviert Herrenknecht zweimal die Woche ein individuelles Training, Gewichte stemmen und Radfahren. Der Unternehmer muss fit bleiben, denn er hat ein großes und ehrgeiziges Ziel: „Ich will 100 werden.“
Ganz so lang will er in der Firma freilich nicht mehr arbeiten. Die Zukunft des Unternehmens hält er für gesichert, seit er es in eine Familienstiftung eingebracht hat. Sein Vertrag als Vorstandsvorsitzender läuft noch bis 2018, ob dies auch das definitive Abschiedsdatum sein wird, lässt er offen. Seine beiden Töchter Briana — sie ist
Schauspielerin — und Joanita gehen andere Wege, aber Sohn Martin-Devid, der an der TU München Maschinenbau studiert hat, managt im väterlichen Betrieb schon mit, sitzt aber noch nicht im Vorstand. Er kümmert sich derzeit um ein wichtiges Digitalisierungsprojekt.
Natürlich soll der Sohn in naher Zukunft übernehmen. Der Vater hat ihm schon signalisiert: „Ich bin vielleicht ein harter Brocken, aber ich werde dir nicht im Wege stehen.“ Die Strategie kennt Martin-Devid ohnehin auswendig. Über die wird daheim auch beim Abendessen ständig gesprochen.
Angst vor den großen Fußstapfen des Papas habe er nicht, sagt Martin-Devid:
„Das blende ich einfach aus.“