Dresden. Einen Job als Aufsichtsrats-Chef des M-Dax-Konzerns Stada begreift Carl Ferdinand Oetker zum Teil auch als Ausbildungsstation. Nur zu gern würde er Halbbruder August ablösen, wenn Anfang 2019 der Wechsel an der Beiratsspitze des Oetker-Konzerns ansteht.
Offensichtlich hält der gelernte Ökonom dazu die Schauspielerei für eine Schlüsselqualifikation. Eine profunde Kostprobe lieferte Oetker während einer Mitarbeiterversammlung des Pharmaherstellers (Grippostad, Ladival) an einem Mittwoch Anfang Juli. 24 Stunden zuvor hatten Vorstandschef Matthias Wiedenfels und Finanzvorstand Helmut Kraft ihre Ämter niedergelegt, mit sofortiger Wirkung.
Oetker kennt die Fragen, die für die Versammlung in einer Turnhalle nahe dem Konzernsitz in Bad Vilbel eingereicht wurden. Gleich die erste lautet: Warum haben die beiden Vorstände so Knall auf Fall hingeschmissen? Oetker schaut konsterniert und antwortet: „Die persönlichen Gründe will und kann ich nicht kommentieren. Ey, ich hab keine Ahnung.“ Das Gegenteil ist richtig. Wiedenfels und Kraft gingen, weil Oetker ihnen kaum eine andere Wahl ließ (weiterlesen).
Dass es eng für ihn werden würde, schwante Wiedenfels, als Oetker eine eigentlich für Dienstag um 10 Uhr in Bad Vilbel geplante Vorstandssitzung samt Aufsichtsräten in die Frankfurter Räume der Kanzlei Skadden umlenkte. Dringende Bitte an den Vorstand: keine Berater.
Skadden-Vormann Bernd Mayer hatte sich in den vergangenen Monaten zum Consigliere Oetkers aufgeschwungen und für ein höchst erkleckliches Honorar eine monatelange Compliance-Untersuchung angeführt, die sich auch gegen Wiedenfels richtete – was der wiederum damit retournierte, den Aufsichtsrat durch Debevoise & Plimpton auf Sauberkeit hin untersuchen zu lassen.
Und tatsächlich: Kaum hat Wiedenfels das Skadden-Büro betreten, bittet Oetker zum Einzelgespräch. Präpariert durch Arbeitsrechtler von Allen & Overy präsentiert Oetker seinem Gegenüber, was die Skadden-Anwälte in ihrem Zwischenbericht zum Wohlverhalten von Wiedenfels notiert haben. Die Abberufung wegen eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses steht im Raum. Wiedenfels, früher selbst als Rechtsvorstand für Compliance zuständig, weiß, dass er dagegen klagen könnte, dann aber die nächsten Monate in Gerichtssälen verbringen würde. Also fügt er sich und legt, ebenso wie CFO Kraft, sein Amt nieder. Immerhin kann er noch auf die Auszahlung von zwei Jahresgehältern (Gesamtverdienst zuletzt: 1,7 Millionen Euro) hoffen. Nach wenigen Minuten hat Oetker sein Ziel erreicht.
Damit schien der Aufsichtsratsvorsitzende auch das größte Hindernis für seine eigene Weiterbeschäftigung beseitigt zu haben. Denn Wiedenfels hatte in den Tagen zuvor den Weg für ein zweites Kaufangebot der Finanzinvestoren Bain Capital und Cinven geebnet, nachdem deren erster Anlauf gescheitert war. Just für die Aufsichtsratssitzung am Dienstag hatte der ehrgeizige Jurist bis tief in die Nacht eine Beschlussvorlage ausgearbeitet — und dies Oetker auch angekündigt. Und der weiß: Wenn das zweite Übernahmeangebot erst einmal läuft, kann er den Vorstandschef nicht auswechseln, ohne Aktionärsklagen zu riskieren. Und wenn die Finanzinvestoren Stada kaufen, dürfte für ihn kein Platz mehr sein.
Also hatte Oetker vorgesorgt. Am Tag vor der Aufsichtsratssitzung hatte er seinen Vorständen auf Reserve, Engelbert Coster Tjeenk Willink und Bernhard Düttmann signalisiert, dass es nun ernst würde.
Die beiden können ihr Glück wohl kaum fassen. Sie hatten eigentlich damit gerechnet, sich künftig als Aufsichtsräte und Start-up-lnvestoren durchs Berufsleben zu schlagen. Jetzt dürfen sie noch mal zu erhöhten Stundensätzen den Elder Vorstand geben. Zu Beginn läuft für Oetker alles noch nach Plan: Willink, der den Mitarbeitern das Bert anbietet, feuert in den ersten Stunden seiner Amtszeit erst mal zwei der engsten Wiedenfels-Vertrauten: Rechtschef Manfred Anduleit und Kommunikationsleiter Sebastian Krämer-Bach. Den Mitarbeitern (und Oetker) verspricht er: „Wir sind nicht verheiratet mit der Idee Verkaufen im Gegenteil.“
Der Bert kündigt an, ein Konzept für die Unabhängigkeit Stadas auszuarbeiten, dessen Aufsichtsratschef dann natürlich Oetker bliebe. Der wiederum schwärmt intern von seiner „Eins-a-Lösung“.
Inzwischen aber ist der Honeymoon beendet. Noch bevor Willink und Düttmann sich ernsthaft an ihr Konzept machen konnten, mussten sie — nach einer Rückzugsdrohung von Bain Capital und Cinven – das neue Angebot der beiden Firmenaufkäufer unterstützen, keine Woche nach ihrer Berufung. Andernfalls, das haben Investoren klargemacht, müssten sie mit Klagen rechnen.
Immerhin, einen Herzenswunsch wird Willink seinem Aufsichtsrats-Chef noch erfüllen können: Der hatte gebeten, zum traditionellen Sommerfest im August doch auch mal die Kontrolleure einzuladen. Der Niederländer sagte spontan zu. Frohes Fest.