Stuttgart. Die Universität St. Gallen ernannte Audi-Vorstandschef Rupert Stadler 2012 zum Honorarprofessor für Betriebswirtschaft. Audi sponsert an der Hochschule ein Forschungszentrum.
Die Széchenyi Istvån Universität in Györ berief Personalvorstand Thomas Sigi 2012 zum Ehrenprofessor. Audi lässt in der ungarischen Stadt gut 120 000 Autos und fast zwei Millionen Motoren fertigen.
Die TU Chemnitz verlieh Produktions-Chef Hubert Waltl 2013 den Doktortitel und beförderte ihn 2015 zum Honorarprofessor für Werkzeugbau. VW baut in der Stadt Motoren unter anderem für den Golf.
Die Dichte der Hochschullehrer ist hoch im Audi-Vorstand. Der „Herr Professor“ steht stellvertretend für die Kultur der früheren Konzern- und Audi-Chefs Ferdinand Piéch; Professor in Zwickau und Martin Winterkorn; Tripleprofessor.
Mit dieser Herrlichkeit wird nun Schluss gemacht. Vorstandschef Matthias Müller begnügt sich mit dem Titel eines Diplominformatikers. Und gegen Waltl wird intern sogar ermittelt, ob er sich bei akademischen Arbeiten unrechtmäßig von Mitarbeitern unterstützen ließ. Die Revision hat ihn entlastet. Den Audi-Vorstand wird er trotzdem verlassen. Gründe für eine vorzeitige Trennung gibt es zuhauf.
Zunächst verärgerte Waltl Volkswagen-Chef Müller, als er sich über Monate starrsinnig (und am Ende vergeblich) dagegen wehrte, dass Audis Motorenwerk demnächst in die neue Komponentensparte des Konzerns eingegliedert wird.
Schlimmer noch wiegt, dass der Herr Professor sein Kerngeschäft nicht im Griff hat. Das Stammwerk in Ingolstadt ist nicht ausgelastet. „Dem Vorstand fehlt die nötige Produktionsstrategie“, sagt einer der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. „Das belastet alle hier. So geht es nicht weiter.“ Er hätte auch sagen können: Waltl muss gehen. Zur Verärgerung der Arbeitnehmer trug bei, dass Waltl einen Elektrosportwagen ohne Absprache mit dem Betriebsrat an das Werk in Brüssel vergab.
Auf der nächsten regulären Ratssitzung Ende September soll die Personalie auf die Tagesordnung. Nachdem auch Betriebsratschef Peter Mosch Waltl auf einer Mitarbeiterversammlung am 12. Juli hart anging, könnte es deutlich schneller gehen.
Waltl kann sich trösten. Abgesehen vom neuen Entwicklungschef Peter Mertens sitzt kein Vorstand sicher, das gilt auch für Rupert Stadler. Der CEO bekommt die Dieselprobleme nicht unter Kontrolle, immer wieder poppen Enthüllungen über manipulierte Abgaswerte auf. Niemand wisse, welche Motor-Getriebe-Kombinationen wirklich sauber seien, ereifern sich Topleute in Wolfsburg. Das Kraftfahrtbundesamt untersucht die Antriebe diverser Modelle derzeit auf Manipulationen; unter anderem den von Audi gelieferten Sechszylinderdiesel im Porsche Cayenne. Die Nervosität in Ingolstadt und Wolfsburg ist groß. Was, wenn der Verdacht sich erhärtet?
„Eigentlich müssten wir Rupert Stadler jetzt herausnehmen“, sagte ein Aufsichtsrat im Frühjahr. „Aber vielleicht beginnen wir besser mit den anderen Vorständen. Da ist die Not größer.“ Inzwischen spricht vieles für einen Komplettaustausch von Haupt und Gliedern. Neben Produktionschef-Waltl steht dabei vor allem Vertriebsvorstand Dietmar Voggenreiter im Fokus. „Der müsste längst weg sein“, sagt ein Aufsichtsrat. Dem langjährigen China-Chef lasten sie in Ingolstadt, Salzburg und Wolfsburg Audis Absatzeinbruch in der Volksrepublik an (minus 12,2 Prozent im ersten Halbjahr).
Auch Personalvorstand Thomas Sigi und der so solide wie uninspirierte Finanzer Axel Strotbek sind in Ungnade gefallen. Chefeinkäufer Bernd Martens, einem Günstling von Konzernvorstand Francisco Javier Garcia Sanz, dürfte zumindest eine gute Anschlussbeschäftigung sicher sein.
Das Audi-Abrisskommando führt ein kräftiger Mann mit breitem Kreuz an: Betriebsratschef Bernd Osterloh. Der Volkswagen-Kontrolleur gehörte noch nie zu den Stadler-Fans. Doch jetzt geriere er sich plötzlich als Audi-Pate, wundern sich andere Mächtige. Für die nächste Aufsichtsratssitzung des Konzerns am 29. September fordere er ein Gesamtkonzept für einen Neuanfang in Ingolstadt.
Volkswagens Chefaufseher Hans Dieter Pötsch, Familienoberhaupt Wolfgang Porsche und CEO Müller, nebenbei Chefkontrolleur in Ingolstadt, haben das Audi-Drama lange mit stillem Entsetzen betrachtet – und geduldet. Doch wer immer nur zuschaut, wird irgendwann selbst verantwortlich gemacht.
Deshalb ist sich das Trio einig, dass etwas passieren muss. Müller war außer sich, als Stadler Anfang Juni Verkehrsminister Alexander Dobrindt anging. Die Audi-Ingenieure hatten neue Dieselfakten entdeckt und gemeldet; und Dobrindt hatte das Problem nicht für sich behalten, sondern öffentlich gemacht.
Pötsch, in seiner diplomatischen Zurückhaltung eigentlich der geborene Außenminister, äußert mittlerweile deutlich, wie sehr ihn die jüngste Entwicklung bei Audi verärgert. Nach der Einigung mit den US-Behörden im Januar hatte er gehofft, das Schlimmste sei überstanden.
Wolfgang Porsche ist schon seit Längerem skeptisch. Für den Großteil der Familie scheint der Austausch Stadlers nur eine Frage des richtigen Zeitpunkts zu sein.
Während bei Audi die Grundsatzentscheidung gefallen ist, werden in Wolfsburg Notfallszenarien entwickelt für den Fall, dass die Dieselermittlungen in Braunschweig, Stuttgart und München noch weitere personelle Opfer fordern.
Betroffen sein könnten VW-Markenchef Herbert Diess, CEO Müller und selbst Pötsch. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und andere Aufsichtsräte drängen, Back-up-Lösungen für den Fall von Anklagen bereitzuhalten.
Und selbst wenn alles gut gehen sollte, braucht Volkswagen in zweieinhalb Jahren einen neuen Boss. Matthias Müllers Vertrag läuft im Frühjahr 2020 aus. Bis dahin soll der gesamte Konzern personell runderneuert und unbelastet sein.
Porsche-Chef Oliver Blume gilt als gesetzt für den Fall, dass Müller plötzlich ausfällt. Erfüllt Müller seinen Vertrag – die wahrscheinlichere Variante -, sinken Blumes Chancen. Wobei es im Haus auch
kaum andere Kandidaten gibt, die als Nummer eins infrage kommen. Gehandelt wird noch Seat-Chef Luca de Meo, zuvor muss er aber noch die spanische Konzerntochter in Schwung bringen. Ex-Opel-Chef Karl-Thomas Neumann, der bald frei wird, könnte als Markenchef für Audi und VW ins Spiel kommen.
Am liebsten würde das kleine Team um Pötsch mit einem Big Bang aufwarten, nicht mit den üblichen internen Wechsel ketten. Geträumt wird von einem Mann oder einer Frau (ganz verwegen!) für die neue Zeit: jung, smart, anders. Man schaut sogar außerhalb der Autobranche. Einer aus der Tech-Szene, das wäre mal was, oder ein Konsumgüterexperte wie Adidas-Chef Kasper Rorsted, nur gern jünger.
Solche Gedankenspiele sind auch ein Ausdruck bitterer Not. Langfristige Personalplanung spielte in der Winterkorn-Ära so gut wie keine Rolle, der Dieselkrise sind frühere Hoffnungsträger zum Opfer gefallen. Weitere könnten folgen, und neue Talente sind rar.
Jetzt müssen nur all jene, die für die Zukunftsplanung zuständig sind, die nächsten Monate, besser noch Jahre, überleben. Denn auf Autopilot lässt sich ein 626 715 Mitarbeiter-Konzern wie Volkswagen nicht steuern. Das klappt ja noch nicht mal mit seinen Produkten.