Boston. Als Eltern möchten Sie Ihren Kindern alles bieten, was sie für ein erfolgreiches und gutes Leben brauchen. Frühestmögliche Förderung, das beste Essen und mindestens 2 außerschulische Aktivitäten. Wenn man allerdings bereits beim Kinderwunsch dem zukünftigen Nachkommen alles im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege legen „lassen“ kann, warum nicht? Warum soll man um Gottes Willen heutzutage noch alles dem Schicksal überlassen und ein „Bio-Baby“ auf die Welt setzen, wenn es auch anders geht? Ein Baby ganz nach Ihren individuellen Wünschen designt. Das wäre doch was. Sie denken, dies wäre noch Zukunftsmusik? Dank neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften ist die baldige Herrschaft von sogenannten „Supermenschen“ nicht mehr Träumerei, sondern in greifbarer Nähe.
In modernen Kinderwunschzentren und Samenbanken, wie etwa in Amerika oder Osteuropa, überlässt man nichts mehr dem Zufall. Ob Größe, Augen- oder Haarfarbe, Talente oder Blutgruppe, die Kundin wählt beim „Online-Shopping“ den Spender, der am besten zu den Kriterien ihrer selbsterstellten Wunschliste passt. Es ist sogar möglich, einen Schauspieler auszuwählen, der dem Spender ähneln soll. Klickt man in dem Online-Katalog beispielsweise Leonardo DiCaprio an, erscheint das Kinderfoto des Spenders, der als „Look alike“ des Stars beworben wird. Doch die Suche nach den perfekten Genen für den eigenen Nachwuchs birgt Tücken. Denn ob sich die gewünschten Spendermerkmale weitervererben, ist Zufall. Jeder Mensch ist einzigartig. Es kommt allein auf die Kombinationen der Gene beider Elternteile an. Das Schicksal nimmt mit der Befruchtung der Eizelle seinen Lauf. Bei einer künstlichen Befruchtung entstehen gleich mehrere Embryonen. Mit der sogenannten „Präimplantationsdiagnostik“ lässt sich das Erbgut bereits im Embryonalstadium untersuchen. So kann man Erbkrankheiten erkennen. Für die Analyse und den Vergleich der Embryonen genügt eine einzige Zelle, denn in jedem Zellkern liegt das Erbgut verborgen – die „Desoxyribonukleinsäure“ oder DNA (auf Deutsch: DNS). Der Code des Lebens offenbart jedoch nicht nur Erbkrankheiten. Alle Eigenschaften, die einen Menschen ausmachen, wie Aussehen, Talente, sogar die Funktion des gesamten Organismus eines jeden durch die unterschiedlichen im Körper vorhandenen Enzyme und Hormone, wie von einem ganz anderen Forschungsgebiet, der sogenannten „Nutrigenetik“, festgestellt, sind in der DNA verschlüsselt. So sind Kinderwunschzentren in Amerika zum Beispiel in der Lage, sogar das von den werdenden Eltern gewünschte Geschlecht und/ oder die gewünschte Augenfarbe „zur Verfügung zu stellen“. Während diese Praktik in Deutschland noch verboten ist, wird jenseits des Atlantiks die befruchtete Eizelle nicht mehr anhand medizinischer Kriterien, sondern nach den Wünschen der Eltern ausgewählt, die dann in der Gebärmutter eingenistet werden soll.
Beim Nachwuchs gibt es keinen Zufall mehr
Doch es geht noch weiter. Bei dem Nachwuchs soll wirklich nichts mehr dem Zufall überlassen werden. Das Kind soll für alle Eventualitäten gewappnet und vorbereitet sein. Alles eine Frage der Möglichkeiten. Klar kann man vieles bieten, wenn der Geldbeutel es hergibt. Doch auch das ist heute nicht mehr der Fall. Jährlich wird der mit 3 Mio. Dollar dotierte, sogenannte „Breakthrough Prize“ für revolutionäre wissenschaftliche Erfolge verliehen. Im Jahr 2015 ging dieser an zwei Wissenschaftlerinnen, welche die Zukunft der Genmanipulation auf beeindruckendste Weise verändert haben. Das von ihnen entwickelte Verfahren namens CRISPR/Cas9, oder kurz CRISPR, ist eine Genschere mit ungeahnter Genauigkeit, die es ermöglicht, jede beliebige Stelle der DNA zu entfernen oder sogar zu verändern und somit den genetischen Code umzuschreiben, als würde man ein Wort in einem Satz einfach austauschen. Die Funktion ist genauso einfach wie genial: Bestückt mit der jeweiligen Erkennungssonde sucht die Genschere den passenden Abschnitt der DNA, schneidet diesen aus dem Strang heraus und der natürliche Reparaturmechanismus verbindet die Enden wieder. Das Gen ist jetzt funktionsunfähig, das Erbgut jedoch bleibt genauso, wies es ist. Bei der Veränderung eines Genabschnitts wird der Genschere das gewünschte Gen angehangen, die sich wieder mit der Erkennungssonde auf die Suche nach der passenden Stelle macht, um dann den zu verändernden Genabschnitt herauszuschneiden, sodass das neue Gen in dem Strang aufgrund des natürlichen Reparaturmechanismus‘ nahtlos wiedereingesetzt wird. Und damit hat man dann die gewünschte Veränderung erreicht.
Mit CRISPR hat man etwas entdeckt, was die Wissenschaftswelt auf den Kopf stellt. CRISPR funktioniert in allen Zellen und allen Organismen, es ist das präziseste Instrument, das die Gentechnik jemals zur Verfügung hatte und es ist einfach, leicht anwendbar und spottbillig – eine unschlagbare Kombination. Wer den Code des Lebens nach Belieben verändern kann, hält eine mächtige Waffe in den Händen. Der Mensch ließe sich dann nach bestimmten Vorstellungen gestalten. Auf dem Weg zum perfekten neuen Menschen gibt es jedoch noch ein Hindernis. Schreibt man den Code nur eines Individuums auf, so füllen sich Regale mit Büchern, die Seiten dicht bedruckt, 3,2 Milliarden Bausteine aneinandergereiht – und nur von einem winzigen Bruchteil kennen wir die Bedeutung. Doch nur was wir kennen, können wir gezielt verändern. Mit CRISPR allerdings wird auch die Entschlüsselung des Codes einfach denn je gemacht und es dauert nicht mehr lange, bis wir in der Lage sind, jegliche Merkmale und Eigenschaften an uns zu modellieren, wie es uns beliebt.
Bei einer solch revolutionären Methode denkt man zunächst an alle Erbkrankheiten, die mit einem Schlag und ganz einfach ausgemerzt werden könnten. So müsste man nie wieder Symptome bekämpfen, sondern könnte gleich die Ursache vernichten. Auch das bestehende Problem mit den Spenderorganen, die seit jeher Mangelware sind und vielen Menschen heute noch das Leben kosten, wäre endgültig gelöst. Seit Jahren forschen Wissenschaftler bezüglich der Transplantationsmöglichkeiten von gezüchteten Schweineherzen für Menschen, die auf ein neues Herz warten. Bisher konnte man diese jedoch nicht verwenden, da sie bestimmte Eiweißmoleküle produzieren, die der menschliche Organismus als Fremdkörper ansieht und daher das Organ abstößt. Mithilfe von CRISPR könnte die Bildung dieser Eiweißmoleküle durch Herausschneiden des für die Produktion verantwortlichen Genabschnittes unterbunden und damit das Schweineherz als Ersatz angeboten werden. Unterdrückbare, jedoch nicht heilbare Infektionskrankheiten wie AIDS oder Hepatitis würden der Geschichte angehören. Blutspenden müssten nicht mehr aussortiert werden, da das Blut durch CRISPR ganz einfach und ohne viel Aufwand gereinigt werden könnte – weiter noch: Der Mensch könnte unbesiegbar und sogar ewig jung gehalten werden.
Klingt doch verlockend oder? Wer träumt nicht von einem „Superkind“? Doch birgt das bahnbrechende Verfahren CRISPR auch viele Risiken. Der Umgang mit einem so enorm wirkungsvollen Instrument wie CRISPR erfordert verbindliche Regel, ein neues Buch im Strafrecht, denn die Auswirkungen der Veränderung des Erbguts sind irreversibel und verändern den gesamten Verlauf Evolution der Menschheit. Schließlich darf man nicht vergessen, woher das Erbgut kommt, nämlich von den Eltern. Genauso wird auch genmanipuliertes Erbgut weitervererbt…die Schöpfung 2.0. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass wenn diese Sicherheitsbedenken mal ausgeräumt sind, dann wird man CRISPR nicht mehr dazu verwenden, um Kranke zu heilen oder zur Forschung zu nutzen. Vielmehr wird man damit den Menschen optimieren. Aus dem Homosapiens wird der Homo Deus, der Gottmensch, der alles kann und dann natürlich auch alles will. Anfangen wird man selbstverständlich bei den Kindern. Man wird ihnen einen höheren Intelligenzquotienten oder eine höhere Lebenserwartung einschleusen. Ob das risikofrei geht, weiß kein Mensch, aber wenn sie erstmal da sind, sind sie da – mit allen Vor- und Nachteilen. Hochintelligente, große, womöglich blonde, meist blauäugige, auf jeden Fall immer gut gelaunte…Monster. Und deshalb müssen wir jetzt darüber reden. Wir müssen jetzt entscheiden, wo wir die rote Linie für diese Art von Forschung ziehen. Denn Weisheit kennt Grenzen, Dummheit nicht…