München. Mitte Februar zeigte Allianz-Chef-Oliver Bäte (52) vor aller Öffentlichkeit Nerven. „Das sind superspannende Themen, die haben ja auch viel mit unserem Jahresergebnis zu tun“, ätzte Bäte, als er auf der Jahrespressekonferenz gefragt wurde, wie er es denn mit der Nutzung des Firmenfliegers halte. Um dann auf die dritte Frage zu dem Thema nachzusetzen: Natürlich bestelle die Allianz neue Flieger, wenn alte Verträge abliefen. „Wir schaffen uns auch regelmäßig neue Autos an, ich schaffe mir auch ab und zu neue Krawatten an.“
Die Flüge des Allianz-Firmenjets samt Zwischenstopps in Bätes Wohnort Köln sind eigentlich eine Petitesse. Und doch nimmt sie der Vorstandsvorsitzende von Europas wichtigstem Finanzkonzern zu Recht als Warnzeichen wahr. Denn er fragt sich, wie es in der traditionell so verschwiegenen, ja zugeknöpften, geradezu hochgeschlossenen Allianz überhaupt geschehen konnte, dass Details über seine Flugreisen nach außen drangen. Die Antwort muss eindeutig ausfallen: Bäte hat sich in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit rekordverdächtig viele Feinde gemacht – eine Allianz gegen Bäte hat sich geformt.
In den Landesgesellschaften mit der mächtigen Deutschland AG an der Spitze kritisieren zahlreiche Topmanager Bätes digitale Umbaupläne und seinen sprunghaften Führungsstil. Dazu kommt Widerstand aus dem Mittelbau, der befürchten muss, dass seine Jobs in ein paar Jahren entweder ganz anders aussehen oder völlig verschwunden sein werden. Und dann ist da noch der Ärger über Oliver Bätes eigenwillige Selbstinszenierung als Elon Musk der Versicherungsbranche.
Auf seiner ersten Hauptversammlung trug er rote Turnschuhe zum dunkelblauen Anzug. Er ließ sich vom YouTuber Tilo Jung („Jung & Naiv“) eindreiviertel Stunden lang interviewen. Und den flirrenden Rocket-Internet-Gründer Oliver Samwer stellte er seinen eigenen Leuten als Vorbild hin. Das alles ausgerechnet bei der stockkonservativen Allianz, für deren Führungskräfte die Zugehörigkeit zu einer schlagenden Verbindung lange als erstklassiger Befähigungsnachweis galt.
Vor allem aber zog Bäte das Tempo mächtig an. Bis Ende 2018 dürfen für Schäden und Kosten nicht mehr als 94 Prozent der Prämieneinnahmen ausgegeben werden. Die Eigenkapitalrendite soll bei 13 Prozent liegen, der Gewinn pro Aktie um 5 Prozent pro Jahr zulegen und die Produktivität sich um eine Milliarde Euro jährlich verbessern. Anders gesagt: Die Allianz muss deutlich effizienter, schlanker und damit digitaler werden. Und weil Bäte alles auf einmal will, bleibt vieles Stückwerk, gelegentlich bringt er das Unternehmen an den Rand der Belastungsgrenze.
Mitten in diese Gemengelage hinein kehrt Anfang Mai Bätes Vorgänger Michael Diekmann (62) zurück. Er ist zwei Jahre nach seinem Abtritt als CEO ausreichend abgekühlt, die Aktionäre werden ihn in den Aufsichtsrat wählen, der Stuhl des Chefkontrolleurs ist reserviert. Acht Jahre kann er dieses Amt ausüben, fast so lange wie einst Henning Schulte-Noelle (74).
Dass er die Rolle eines aktiven Chairman spielen will, hat er so diskret wie deutlich signalisiert. Die Rollen des Chefkontrolleurs bei Siemens und Fresenius, die er hätte übernehmen können, interessierten ihn nicht. Sein Linde-Mandat gibt er ab. Zwölf Jahre führte Diekmann die Allianz mit ruhiger — manche sagen: in seinen letzten Amtsjahren zu ruhiger – Hand. Während Bäte teils geradezu exaltiert auftritt, meidet Diekmann die Öffentlichkeit bis zur Missachtung. Bätes Extratouren („Ich bin der Bundeskanzler der Allianz“) dürften Diekmann kaum entgangen sein, ebenso wenig wie die Klagen aus dem Allianz-Management.
Der Ostwestfale wird jetzt zum Hoffnungsträger der Anti-Bäte-Fraktion stilisiert. Wird er ihn coachen und den Überehrgeizigen einbremsen, wenn der über die Stränge zu schlagen droht? Oder wird er gar für ein Comeback der höfischen, konsensorientierten Allianz-Kultur sorgen und am Ende bereit sein, seinen Nachfolger zu opfern?
Manchen gilt Bäte in der Allianz immer noch als Experiment. 2008 holte Diekmann ihn von McKinsey und beförderte ihn direkt in den Vorstand. Sieben Jahre lang baute er ihn systematisch auf, ließ ihn in dieser Zeit drei verschiedene Ressorts durchlaufen. Als 2014 Diekmanns Nachfolge anstand, gab es keine ernsthaften Alternativen — weil Diekmann sie erst gar nicht gesucht hatte.
Anders als sein Vorgänger, der sich aus der Allianz-Vertriebsniederlassung Hamburg-Harburg bis an die Konzernspitze hochgearbeitet hatte, konnte Bäte nie wirklich enge Kontakte in die mittleren und unteren Ränge des Konzerns knüpfen, sich nie mit dem in der Allianz so wichtigen Außendienst verdrahten. 2015 wurde er als Quereinsteiger zur Nummer eins. Ein Außenseiter ist er bis heute geblieben.
Dabei hat Bäte bereits als BWL-Student in Köln mit dem Gedanken gespielt, zur Allianz zu gehen. Für einige Monate schloss er sich dafür sogar einer schlagenden Verbindung an, der auch der damalige Konzernchef Wolfgang Schieren und dessen Nachfolger Schulte-Noelle angehörten. Als er über Schieren später tatsächlich einen Job in der Münchener Königinstraße angeboten bekommt, sagt er ab, geht lieber zu McKinsey nach New York, auch weil es seine Frau nach Manhattan zieht.
Bäte gilt als erstklassiges „Consultantmaterial“, analytisch hochbegabt, extrem zielstrebig und mit einem bemerkenswerten Durchhaltevermögen ausgestattet. Er macht Karriere, obwohl er mit dem Drang, seine Intelligenz zur Schau zu stellen, selbst bei den elitären Meckies keine Beliebtheitswettbewerbe gewinnt. Nach zehn Jahren wird er Leiter der europäischen Versicherungspraxis und Direktor. Sein wichtigster Kunde: die Allianz.
Er wechselt die Seiten, wird erst Chief Operating Officer, dann Nachfolger des heutigen Aufsichtsratschefs Helmut Perlet (69) als Controllingvorstand. Das operative Geschäft in Italien und Frankreich leitet er knapp zweieinhalb Jahre lang. Es ist seine letzte Lehrstation, weil Diekmann pünktlich mit 60 als CEO aufhört, um rechtzeitig den Job des Chefkontrolleurs übernehmen zu können.
Bäte legt los wie der Blitz. Seine „Renewal Agenda“ verordnet dem Assekuranzriesen alles auf einmal: mehr Wachstum, geringere Kosten, durchgängige Digitalisierung – und strikte Kundenorientierung.
Er gründet eine Global Digital Factory, die digitale Versicherungslösungen entwickeln soll, für sämtliche in aller Welt verstreuten Allianz-Gesellschaften. Den Allianz Digital Accelerator lässt er zu einem globalen Start-up- und Venture-Capital-Hub namens Allianz X umbauen.
Als Bäte ein Jahr später, im November 2016, auf dem Capital Markets Day eine erste Bilanz seiner Renewal Agenda zieht, kann er bei seinen zentralen Initiativen zur Enttäuschung mancher Analysten kaum über konkrete Erfolge berichten. Stattdessen brillieren die Topmanager der Töchter mit ihren eigenen digitalen Errungenschaften, allen voran die größte aller Landesgesellschaften, die Allianz Deutschland. Gleichwohl demonstriert Bäte ungebrochenen Optimismus: Die Allianz sei ein „unausgeschöpftes Kraftzentrum, das wir explorieren werden“.
Der Konzern kündigt „tektonische Veränderungen“ an, tatsächlich aber kommt die Erarbeitung digita1er Policen- und Dienstleistungsangebote (neudeutsch: Customer Journeys) in der nagelneuen, schick designten Digitalfabrik nahe dem Münchener Ostbahnhof viel langsamer voran als gedacht. Statt der geplanten fünf sind Ende 2016 gerade mal zwei Journeys fertig. Bätes Chief Digital Officer Solmaz Altin (43) soll 25 Kernprozesse von Grund auf neugestalten. Mitte März funktioniert noch nicht mal die Website der Digitalfabrik.
In der Allianz wachsen die Zweifel, ob Bäte das richtige Händchen für die Auswahl seiner Führungskräfte besitzt. Altin sei ein geübter Projektmanager, doch fehle es ihm an den nötigen tiefen Versicherungskenntnissen, kritisiert ein Konzernmanager. Wie Bäte machte der in Krefeld geborene Deutschtürke als Berater Karriere, bei PwC und KPMG. Von dort stieß er 2009 als oberster Risikomanager zur Allianz-Tochter in Istanbul.
Die zweite umstrittene Personalentscheidung Bätes ist der im Oktober gestartete Allianz-X-Chef Peter Borchers (46). Der gesteht freimütig, dass er von Versicherungen wenig versteht: „Die Allianz war für mich vorher ein Buch mit sieben Siegeln.“ Die vergangenen 13 Jahre verbrachte Borchers bei der Deutschen Telekom und baute dort zuletzt den konzerneigenen Inkubator Hubraum auf. Er scheint sein Jobglück kaum fassen zu können: 430 Allianz-Millionen darf er in den nächsten vier Jahren ausgeben, für Start-ups und Wagniskapitalfonds. Als Hubraum-Chef investierte er über vier Jahre gerade mal einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag — in insgesamt 20 Beteiligungen.
Wie findet so einer bei gestandenen Assekuranzvorständen Akzeptanz? Vor allem das Spitzenpersonal der Allianz Deutschland macht keinen Hehl daraus, dass es seine Start-up-lnvestments lieber selbst aussuchen möchte.
In Unterföhring, einer nüchternen Bürostadt acht Kilometer nördlich des denkmalgeschützten Konzernsitzes am Rande des Englischen Gartens, residiert Bätes wohl wichtigster Gegner: Deutschland-Chef Manfred Knof (51).
Seit Jahren steuert die heimische Tochter ein Viertel des Konzerngewinns bei. Vieles, was Bäte mit seiner digitaler Revolution großspurig ankündigt, haben Knof und seine Leute längst erledigt. Während in der Global Digital Factory kürzlich noch ein Chief-Happiness Officer die richtige Ausstattung der Räumlichkeiten mit Pflanzen überwachte, entwickeln Knofs weitaus bescheidenere „Garagen“ mit 200 Mitarbeitern in München und Stuttgart digitale Policen wie am Fließband: online abschließbare Risikolebensversicherungen, ein vollständig digitales Depot sowie diverse Apps, etwa zur Abwicklung von Blechschäden am Auto oder zur Berechnung der Riester-Zulagen.
Nachhilfe von der Holding, der Eindruck drängt sich auf, hat die Allianz Deutschland nicht nötig. Und ihr Chef schon gar nicht: Der etwas steif auftretende Jurist wirkt wie hineingeboren ins Allianz-Blau.
Zur Jahrtausendwende leitet er Henning Schulte-Noelles Vorstandsbüro. Unter Diekmann steigt er rasch auf: vom CEO der kleinen, aber hochprofitablen Tochter in der Schweiz über das Amt als Operations-Vorstand der Allianz Deutschland zum CEO für Osteuropa. Gegen massive Widerstände im Holdingvorstand setzt er seinerzeit den Rückzug aus dem Privatkundengeschäft in Russland durch. Der Ausbruch der Ukraine-Krise gibt ihm recht; die Entscheidung erweist sich als goldrichtig und spart der Allianz viel Geld.
Als sich Markus Rieß (51) kurz nach Bätes Kür zum CEO zur Ergo absetzt, führt kein Weg an Knof als Deutschland-Chef vorbei.
Das ungleiche Gespann Bäte-Knof funktioniert von Beginn an nur leidlich. Während Rieß einen engen Draht zu Diekmann pflegte, haben Bäte und Knof kaum direkten Kontakt. Bäte präsentiert sich zwar gern nahbar und kommunikativ, regiert allerdings lieber indirekt, über seine Getreuen.
In Aufsichtsratssitzungen der Allianz Deutschland, in denen Bäte als einfaches Mitglied mitdiskutiert, scheinen die Spannungen zwischen den beiden bisweilen mit Händen greifbar zu sein. Streit entzündete sich an der Lebensversicherung: Die Deutschland-Tochter sträubte sich, neue Verträge ohne Garantiezinsen anzubieten; Bäte setzte sich durch.
Schaulaufen mit der Tochter
Vor allem aber muss sie immer höhere Dividenden in der Königinstraße abliefern; 1,9 Milliarden Euro waren es allein 2015. Wann immer eine Auslandstochter über die Jahre Geld verbrannte, stets sorgten die Unterföhringer für frische Scheine. In den vergangenen zwei Jahren presste Bäte Knof sogar zwei Sonderdividenden ab, zusätzlich zu den regulären Ausschüttungen.
Letzten Sommer dann nahm das Schaulaufen zwischen Holding und Deutschland-Tochter um die Digitalisierungs- und damit die Deutungshoheit über die Zukunft des gesamten Konzerns absurde Züge an. Erst gab Bäte in einem Doppelinterview mit Rocket-Internet-Chef Samwer den Bewunderer der (inzwischen abgestürzten) Internetrakete, anschließend trat Knof gemeinsam mit FC-Bayern-Kapitän Philipp Lahm als Teamplayer in Erscheinung.
Im Februar beendete Bäte das Gezerre auf seine Weise: per Doppelinterview mit Knof im Allianz-Intranet, in dem sich beide ihrer gegenseitigen konstruktiven Zusammenarbeit versichern.