Bonn. Es war ein seltener Moment der Schwäche, als sich die Bundeskanzlerin zu einer folgenschweren Unterschrift durchrang. Russland hatte gerade die Krim annektiert, und in Osteuropa ging die Kriegsangst um. „Aufrüstung“ hieß das Gebot der Stunde, und so beschlossen die 28 Nato-Staaten auf ihrem Gipfel 2014, die Militärausgaben in den kommenden zehn Jahren auf mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung festzuschreiben.
Inzwischen bereuen Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihr teures Versprechen. Es droht ihnen den Bundestagswahlkampf zu verhageln. Würde Deutschland nämlich seinen Wehretat wirklich von jetzt 1,2 auf zwei Prozent des BIP erhöhen, müssten rund 30 Milliarden Euro zusätzlich für das Militär ausgegeben werden — eine höchst unpopuläre Maßnahme.
Doch US-Präsident Donald Trump will die Deutschen an ihre Zusage binden.
Amerika sei nicht mehr bereit, die Rechnung für andere Länder zu bezahlen, sagte Trump beim Nato-Gipfel vergangenen Donnerstag in Brüssel. Er rang den westeuropäischen Nato-Staaten die Zusage ab, jährliche Fortschrittsberichte über ihre Militärausgaben vorzulegen.
Außenminister Sigmar Gabliel schlägt andere Töne an. Das Zwei-Prozent-Ziel sei „völlig unrealistisch , sagt der SPD-Mann. „Ich kenne keinen Politiker in Deutschland, der glaubt, dass das in unserem Land erreichbar oder auch nur wünschenswert wäre.“ Kanzlerkandidat Martin Schulz wittert ein vielversprechendes Mobilisierungsthema für seinen Wahlkampf. Man brauche keine Politik, an deren Ende „in der Mitte Europas eine aufgerüstete Armee steht, wettert der SPD-Chef.
Merkel nimmt den Angriff ernst. Gemeinsam mit von der Leyen versucht sie, das Zwei-Prozent-Ziel trickreich zu unterlaufen, ohne es offiziell aufzukündigen. Als probates Mittel erweist sich dabei eine Neudefinition des Begriffs „Verteidigungsausgaben So wurden jetzt die Ministerien aufgefordert, alle Ausgaben aufzulisten, die man unter dem Aspekt „sicherheitsrelevant“ einordnen könne. Anregungen kommen auch aus der Fraktion. Mit etwas anderem Akzent. Der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) etwa wirbt unter dem Stichwort „vemetzte Sicherheit“ schon seit seiner Amtszeit dafür, Ausgaben im Bereich der Entwicklungshilfe einzubeziehen: „Die Leitidee damals wie heute muss sein: ohne Entwicklung keine Sicherheit. Ohne Sicherheit keine Entwicklung. “ Man müsse „neben dem rein Militärischen immer auch die humanitären und entwicklungspolitischen Ziele verfolgen“, sagt Jung. Allerdings könne man bei diesem Ansatz nicht bei zwei Prozent stehen bleiben, sondern müsse den Aufwand für die vernetzte Sicherheit auf drei Prozent hochsetzen.
Das macht die SPD nicht mit, ihr sind schon zwei Prozent zu viel. Sie will auch Ausgaben für Krisenprävention, humanitäre Hilfe und Gelder zur Stabilisierung unsicherer Länder als Ausgaben für Sicherheit im Sinne der Nato angerechnet wissen. „Wir Deutschen geben derzeit sehr viel Geld dafür aus, Flüchtlinge aufzunehmen, die zu uns kommen, weil Militärinterventionen fehlgeschlagen sind“, sagt Gabriel. Allein in diesem Jahr seien das 30 bis 40 Milliarden Euro. Außerdem leiste Berlin mehr Entwicklungshilfe als andere Länder. In diesem Sinne argumentiert auch Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU): „Friedenssicherung durch Entwicklungsarbeit ist der beste Weg zu weniger Militärausgaben.“