Berlin. Seit 2009 trägt der 49-jährige Ex-Stürmer Michael Preetz bei den Berlinern (Hertha BSC) den Titel „Geschäftsführer Sport, Kommunikation und Medien“. Seitdem ist Preetz so etwas wie das Gesicht des Vereins: Bei den Abstiegen 2010 und 2012, aber auch bei den direkten Wiederaufstiegen und den Erfolgen der letzten beiden Jahre, in denen Hertha mit vergleichsweise schmalem Personaletat um die Europa-League-Plätze mitgespielt hat. Die rund 40 Mio. Euro, die Preetz pro Saison für Spielergehälter ausgeben kann, würden beim FC Bayern gerade einmal für die drei teuersten Stars reichen.
Mit der Mannschaft fährt der Manager gleich zum Sightseeing nach Palma. Aber vorher redet er über die großen Projekte des Clubs: über die Suche nach einem zweiten Investor, der möglichst eine dreistellige Millionensumme in den Verein pumpen soll. Über die Pläne für ein neues Stadion. Wie sich der Club im In- und Ausland offensiver vermarkten will. „All das brauchen wir, wenn wir den wirtschaftlichen Abstand zu den top sechs in der Bundesliga verkürzen wollen“, sagt Preetz.
Nicht nur bei Hertha BSC bemühen sich die Clubmanager um neue Erlösquellen. Die Bundesliga rüstet auf, angetrieben von den übermächtigen Fußballkonzernen aus München und Dortmund, die dank Dutzender Millionen aus der Champions League ein Mehrfaches des Umsatzes von Bundesliga-Mittelständlern wie Hertha machen. Mehr Stars, teurere Transfers, höhere Gehälter: Für den Rest der Liga wird es immer schwerer, mit den Top-Teams mitzuhalten. Auch andere Vereine wie Werder Bremen sind deshalb auf der Suche nach finanzstarken Investoren – nicht nur in Deutschland, auch in China oder Nordamerika. Beim VfB Stuttgart soll im Sommer der Autobauer Daimler mit mehr als 40 Mio. Euro einsteigen.
Doch in keiner anderen Branche haben es Investoren hierzulande so schwer wie im Profifußball. Eine Sonderregel – 50+1-Regel genannt verhindert, dass sie bei einem Club die Kontrolle übernehmen können. Bei vielen Fans sind sie verhasst als Kapitalisten, die den Fußball kaputt machen — auch weil man viele Beispiele von eigensinnigen Investoren kennt, die sich in Transfers und Trainerfragen einmischen und Chaos im Verein anrichten. So wie beim HSV oder bei 1860 München, wo der jordanische Unternehmer Hasan Ismaik, den Traditionsclub zerlegt hat.
Es gibt aber auch das Beispiel Hertha. Es zeigt, was ein Investor einem Verein bringen kann, wenn beide Partner es richtig anstellen.
Hertha BSC hat bereits einen Investor, Kohlberg Kravis Roberts (KKR) aus New York. Vor dem Einstieg des Finanzkonzerns hatten die Berliner in der Krise gesteckt – erst wirtschaftlich, dann auch sportlich. Die Abstiege verschärften die Finanznot und verfestigten das chronische Imageproblem des Clubs — auch in der eigenen Stadt: arm, aber nicht einmal sexy. Anfang 2014 investierte KKR 61,2 Mio. Euro, unter anderem für einen Firmenanteil von knapp zehn Prozent. Für die Amerikaner, die sich in Deutschland zuvor an Konzernen wie MTU, Wincor Nixdorf oder WMF beteiligt hatten, ist es bis heute das einzige Engagement im Profisport. Für den hoch verschuldeten Verein war der Einstieg einer der bekanntesten Private-Equity-Firma der Welt ein Überraschungscoup. Und die Basis für einen Turnaround, der sich auch auf dem Platz auszahlt.
„Ohne KKR würden wir heute nicht da stehen, wo wir sind“, sagt Werner Gegenbauer, der Hertha-Präsident – wirtschaftlich und sportlich, aber auch, weil Spieler und Sponsoren wüssten: „Da kann sich wieder was entwickeln.“ In der Branche gilt die Partnerschaft von Hertha und Hochfinanz als Musterbeispiel. „Das ist ein seriöses Modell“, sagt ein anderer Clubchef. Was Ligakollegen besonders bemerkenswert finden: Nach dem Einstieg hat man von KKR nie wieder ein Wort gehört. Und das bei einem Finanzinvestor, der seit dem „Heuschrecken“-Vergleich von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering als rücksichtsloser Firmenjäger gilt, der möglichst schnell Kasse machen will.
Berliner Olympiastadion, 26. Spieltag der Bundesliga, Freitagabend. Hertha BSC empfängt TSG 1899 Hoffenheim. Der Tabellenfünfte gegen den -vierten. Für die Partie eingeflogen ist ein Mann, der während des Spiels auf der Ehrentribüne neben der Clubführung sitzt: Horst Julius Pudwill. Der deutsche Milliardär aus Hongkong ist Eigentümer des Heimgerätekonzerns Techtronic Industries mit fast 6 Mrd. Dollar Umsatz und Marken wie Hoover und AEG. Im Schlepptau hat Pudwill Chinesen und Thailänder mit Hertha-Schals — Leute mit viel Geld, die gerade in Europa von Spiel zu Spiel jetten und nun im VIP-Bereich bei Roastbeef und Rotwein auf den Anpfiff warten. Auch in Asien haben sie gehört, dass die Berliner einen zweiten Investor suchen.
Ohne KKR hätte Hertha es bei jemandem wie Pudwill wohl nicht leicht. Aber schon wenige Monate nach dem spektakulärem Deal Anfang 2014 kaufte der gebürtige Niedersachse, eigentlich Fan von Hannover 96, Hertha-Genussscheine für 6 Mio. Euro. Ohne detaillierte Prüfung – weil er KKR-Mitgründer Henry Kravis aus dem Business Council der US-Regierung kennt und dem Urteil von dessen Investmentexperten vertraut. „Hertha hat großes Potenzial. Der Verein ist absolut unterbewertet“, sagt Pudwill. Gerade international lasse sich Hertha als HauptstadtClub noch viel mehr vermarkten, „Berlin wird ja immer interessanter“.
Seit Sommer 2014 hat Pudwill sein Engagement bei den Berlinern noch ausgeweitet. Er sitzt im Aufsichtsrat, sein Konzern ist nun Großsponsor. Ab der neuen Saison wird das Logo seiner Marke Ryobi, eines Herstellers von Rasenmähern und Akkuschraubern, auf den Trikotärmeln der Spieler zu sehen sein — für eine Millionensumme. Darüber hinaus finanziert Pudwill einen eigenen Hertha-TV-Sender, der im Sommer starten soll. Die Gewinne teilt er sich mit dem Verein.
„Wenn Sie eine Due Diligence mit KKR überlebt haben, dann ist das ein Gütesiegel“, sagt Hertha-Vereinschef Gegenbauer über die Buchprüfung, die der Investor vor seinem Einstieg durchgeführt hat. Erst wenige Tage vor dem Hoffenheim-Spiel ist der Präsident wieder zusammen mit Sportgeschäftsführer Preetz und Finanzchef Ingo Schiller durch China getourt. Vier Termine bei potenziellen Partnern — darunter der Finanzinvestor Fosun aus Schanghai. Kontakte gibt es auch zu Interessenten aus den USA, etwa mit einer Familie, der ein großes Footballteam in der Profiliga NFL gehört. Nicht selten helfen die Netzwerke und der Ruf von KKR, die Termine zu bekommen. Der zweite Investor, sagt Gegenbauer, solle möglichst so sein wie KKR als börsennotiertes Unternehmen: transparent und berechenbar, „keine Einzelperson, die emotional reagiert“. Im Verein träumen sie davon, mit dem Anteilsverkauf eine Summe von 100 Mio. plus x einzunehmen.
Mit einem großen Deal würde sich der Club völlig neue Spielräume verschaffen, um in die Mannschaft zu investieren — so wie andere Vereine, die sich mit dem Kapital externer Gesellschafter vollgepumpt haben: der FC Bayern mit seinen Aktionären Adidas, Audi und Allianz; der börsennotierte BVB; Firmenclubs wie Leipzig, Wolfsburg und Leverkusen. Ein internationaler Investor, zumal aus China, könnte aber auch der gesamten Bundesliga helfen, den Rückstand auf andere europäische Ligen im Ausland zu verkleinern. Bislang investierten die Chinesen lieber in England, Spanien und Italien.
Ein Büroturm am Tiergarten, wenige Wochen nach dem Trainingslager. In einem Konferenzraum der Großkanzlei CMS Hasche Sigle steht Herthas Finanzgeschäftsführer Schiller vor zwei Dutzend Stuhlreihen mit Männern, die fast alle Krawatten tragen. In Berlin läuft gerade die Super Return, ein Pflichttermin für globale Finanzinvestoren. Parallel dazu hat das European Finance Forum, ein Zusammenschluss von Bankern, Verbandslobbyisten und Anwälten, den Fußballmanager als Gastredner eingeladen. Schillers Thema: „Hertha BSC — zwischen Sportverein und Private Equity“.
Wie bei der Bilanzpräsentation klickt sich Schiller durch Zahlen und Grafiken. Fast 40 Folien, alle versehen mit dem Clubbranding, mit dem das Hertha-Management den 1892 gegründeten Verein als ältestes Start-up der Stadt vermarktet: „Berlin seit 1892″ und „We try. We fail. We win.“ Schiller nennt das einen „provokanten Claim“, der sich nicht an „traditionelle Fangruppen in der Eckkneipe“ richte, sondern an neue Businesspartner aus der Digital- und Start-up-Branche — in einer Stadt, in der es nicht so viele finanzstarke Konzerne gibt wie in München, Stuttgart oder Hamburg.
Auch Betriebswirt Schiller, 51, einer der dienstältesten Finanz-Chefs der Bundesliga, hat bei Hertha Höhen und Tiefen erlebt. Die wilde Zeit Anfang des Jahrtausends, als der Verein im Europapokal spielte, aber unter Preetz‘ Vorgänger Dieter Hoeneß in der Nachwende-Euphorie ein zu großes Rad drehte. Die chronische Finanznot, die den Club zu riskanten Kniffen greifen ließ: Marken- und Cateringrechte wurden verkauft, TV-Einnahmen verpfändet; Schiller legte Zertifikate auf, mit denen sich Investoren an Spielern beteiligen und auf künftige Transfererlöse wetten konnten. Zudem emittierte Hertha als erster Bundesligist öffentliche Fananleihen.
Dann kamen auch noch die Abstiege 2010 und 2012. „Wenn Sie absteigen, verlieren Sie die Hälfte Ihres Umsatzes, ohne das auf der Kostenseite kompensieren zu können“, sagt Schiller und springt zu einer Grafik, die zeigt, warum in der Firmenbilanz vor der Finanzspritze von KKR zeitweise die Worte „bilanzielle Überschuldung“ auftauchten: 40 Mio. Euro Schulden. 8,3 Mio. Euro negatives Eigenkapital. Vor der Insolvenz retteten den Club damals nur die stillen Reserven: Spieler, deren Wert in der Bilanz deutlich niedriger angesetzt war als der aktuelle Marktwert.
Als im Frühling 2013 der Wiederaufstieg feststand, holte die Hertha-Führung ihre Pläne für einen Investor aus der Schublade und ließ ein „Term Sheet“ mit den Konditionen einer Beteiligung am Markt anbieten. Lang blieb es ruhig. Am Ende wollten gleich drei Finanzinvestoren einsteigen – auch Wunschpartner KKR, der an Weihnachten seinen Letter of Intent schickte. Schon Anfang Januar begann die Due Diligence, die den Unternehmenswert auf 220,6 Mio. Euro taxierte. Wenig später floss das Geld: neben rund 18 Mio. Euro für 9,7 Prozent der Anteile eine „Signing Fee“ von 7 Mio. Euro und 36 Mio. Euro als Vorschuss für künftige Einnahmen. Laufzeit: mindestens sieben Jahre. Für KKR gibt es die Option, auf 33,3 Prozent aufzustocken.
Heute kann Schiller einen Turnaround präsentieren. Die Schulden sind halbiert, das Eigenkapital beträgt fast 20 Mio. Euro – nur das Jahresergebnis war zuletzt noch negativ. Mit den KKR-Millionen hat der Club Vermarktungsrechte zurückgekauft, spart sich viel Geld für Zinsen und kann nun komplett vom anhaltenden Boom der Liga profitieren. Seit Jahren wächst der Umsatz in der Bundesliga im Schnitt mehr als zehn Prozent pro Saison – bis auf 3,2 Mrd. Euro in der Saison 2015/16. „Das sind Wachstumsraten, wie wir sie im Moment nicht einmal in China erleben“, schwärmt Schiller.
Und nun kommt auch noch der neue TV-Vertrag, den die Deutsche Fußball Liga im Sommer 2016 für die 36 Proficlubs abgeschlossen hat. Er garantiert Erlöse aus den Übertragungsrechten für TV, Radio und Internet, die nach knapp 900 Mio. Euro in der Saison 2016/17 bis zur Saison 2020/21 auf 1,6 Mrd. Euro hochschnellen. Für Hertha kann Finanzchef Schiller sogar ein „überproportionales Wachstum“ einkalkulieren, weil die Berliner dank der besseren Ergebnisse auf dem Platz auch in der TV-Geldrangliste der DFL aufholen. Nächste Saison wird der Verein mehr als 50 Mio. Euro kassieren – 20 Mio. Euro mehr als in diesem Jahr. Und zwar netto und ohne jedes Risiko.
Aber auch für KKR lohnt sich das ungewöhnliche Investment trotz der Größenordnung, mit der sich Private Equity normalerweise nicht abgibt. „Wir haben deutliches Potenzial gesehen, den Verein national und international stärker zu etablieren“, sagt Christian Ollig, der KKR-Director, der von London aus die deutschen Investments steuert. Damals habe man ein „signifikantes Steigerungspotenzial“ bei den TV- und Mediarechten ausgemacht. i.
Nicht zuletzt dank des Booms bei den Fernseheinnahmen dürfte die Bewertung der Berliner Fußballfirma heute schon bei weit mehr als 300 Mio. Euro liegen. Hinzu kommt für KKR der Werbewert eines Engagements in der Fußball-Bundesliga, einem der größten Schaufenster der Republik – auch als Signal an den deutschen Mittelstand, dass man sich nicht nur für Milliardenübernahmen interessiert. Und dass man auch anders kann, als unangenehme Schlagzeilen zu produzieren.