Silicon-Valley. Peter Thiel hält nicht viel von seinesgleichen. Der deutschstämmige Silicon-Valley-lnvestor, reich geworden mit dem Verkauf des von ihm mitgegründeten Bezahldienstes PayPal, wird gefürchtet für seine politisch unkorrekten Ansichten und seine oft ätzende Kritik. Donlald Trump findet er super, die Absolventen amerikanischer Topuniversitäten hält er dagegen für untauglich, um „unsere Zivilisation auf ein nächstes Level zu bringen“. Sie hätten die dazu nötigen Technologien nicht drauf.
Selbst hochrenommierte Adressen wie Stanford, das Caltech oder das Massachusetts Institute of Technology (MIT) würden heute nur noch stromlinienförmige Konformisten ausbilden, die keine Ahnung von Unternehmertum hätten, lästert Thiel. Weil sie obendrein horrende
Gebühren verlangen und viele Studierende in die Verschuldung treiben, stürzten sich die Eliteabsolventen nicht in innovative Hightechprojekte, sondern heuerten lieber bei tradierten Besserverdieneradressen an: Investmentbanken, Law-Firms oder Unternehmensberatungen.
Um diese unheilvolle Entwicklung aufzuhalten, vergibt Thiel alljährlich Stipendien in Höhe von jeweils 100 000 Dollar an gut zwei Dutzend Bewerber im Alter unter 22 Jahren. Bedingung: Die Geförderten dürfen zwei Jahre lang keine Hochschule betreten. Sie müssen sich mit technischen Neuerungen befassen und Firmen gründen wollen.
Allein im vergangenen Jahr haben sich 2800 junge Leute aus aller Welt um ein „Thiel Fellowship“ beworben. Die 104 bisherigen Stipendiaten haben Start-ups mit einem Marktwert von zusammen über einer Milliarde Dollar hochgezogen.
Aber kann man Robotik und autonom fahrende Autos, Gen-Scheren und Big Data wirklich ohne abgeschlossenes Studium weiterentwickeln?
Mit seiner Kritik an der aktuellen Hochschulpraxis ist Thiel in bester Gesellschaft. Experten beklagen, dass die herkömmliche Art, Bildung zu vermitteln, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz nicht weiterführt. Der britische Mathematiker, Softwareentwickler und Unternehmer Conrad Wolfram etwa hält es für absurd, dass Schüler und Studenten der Technikwissenschaften nach wie vor gedrillt werden, vor allem komplizierte Rechenaufgaben zu bewältigen. Wo doch heute jedes Smartphone seitenlange Gleichungen in Sekunden löst. Künftig würden Algorithmen auch komplexeste Aufgaben bewältigen, noch bevor diese den Menschen vorm Computer überhaupt aufgefallen seien, so Wolfram.
Die Kritiker bemängeln, dass Softwareingenieure, Datenbanker und Elektrotechniker hauptsächlich Prüfungswissen pauken — statt in Entwicklungsprozessen zu denken, sich in Teams zu organisieren und Projekte voranzutreiben. Berufsanfänger seien häufig viel zu unselbstständig und völlig unvorbereitet auf die Realität im schnelllebigen, hart umkämpften IT-Business.
Das wollen Reformer wie Thiel nun ändern. Unterrichtet wird bei seiner Initiative durch Leute mit Erfahrung, Pioniere und Vorbilder. „Peer-to-Peer“-Lernen nennt sich das. Dazu bedürfe es „ausführlicher Gespräche“, sagt Thiel.
Was dabei hilft, sind die weiterentwickelten E-Learning-Ansätze. Boten Massive Open Online Courses (Moocs) zu Beginn der Dekade Vorlesungen lediglich als Webvideo, so haben sie heute Seminarcharakter. Per Skype-Konferenz kommen die über die ganze Welt verteilten Teilnehmer untereinander und mit dem Lehrer ins Gespräch. Andere sind aufgebaut wie ein digitales Lehrbuch: Grafiken, Statistiken, Literatur, Hintergrundwissen – alles jederzeit abrufbar aus der Cloud, Übungsaufgaben lassen sich online lösen.
Zigtausend wollen ins Bootcamp Der ebenfalls deutschstämmige Sebastian Thrun, lange Jahre Forschungschefbei Google und Professor in Stanford, bietet seit Längerem eine Alternative zum herkömmlichen Informatikstudium. Thrun hat Udacity gegründet, dort werden Programmierer, Softwareingenieure und Systementwickler speziell für die Anforderungen der großen TechKonzerne ausgebildet. Amazon, AT&T, Facebook und Google zählen zu den Auftraggebern, aber auch deutsche Unternehmen wie Daimler und Otto. Für bestimmte Kurse gibt Udacity sogar eine Jobgarantie: Wer sechs Monate nach dem erfolgreiChen Abschluss kein Angebot vorliegen hat, erhält die Studiengebühren zurück.
Neben Udacity ist die Make School am Markt, gegründet 2012 in San Francisco und finanziert von Unternehmern und Wagniskapitalgebern wie Tim Draper und Mitch Kapor. Weil sie aufprojekt- und produktbezogenes Lernen Wert legt, bezeichnet sich die Make School als „Product College“ — und setzt sich damit bewusst von forschenden Universitäten ab. Wer die Aufnahmeprüfung besteht, darf auch ohne Highschoolabschluss oder Abitur studieren. Dafür gibt es am Ende auch keinen Bachelortitel.
Die Kosten für drei Semester Präsenzstudium an der Make School plus ein Unternehmenspraktikum sind happig: Zu den Gebühren von bis zu 90 000 Dollar kommen Lebenshaltungskosten von rund 30 000 Dollar.
Die Nachfrage spricht für sich. Mehr als 2000 junge Leute haben das Programm bereits durchlaufen, 1,5 Millionen haben einen der Onlinekurse fürs Programmieren von Apps oder Computerspielen absolviert. Die Angebote werden selbst von so honorigen Adressen wie dem MIT, dem CalTech oder der Carnegie Mellon University genutzt und vermarktet.
Ebenfalls in San Francisco wurde 2015 die Holberton School of » Software Engineering eröffnet, benannt nach einer Entwicklerin aus jenem Team, das in den 40er Jahren den ersten programmierbaren Digitalrechner konstruiert hat. Die Holberton-Betreiber denken weniger ideologisch als die Make Schooler, deren Konzept auf einer länglichen Liste von „Werten“ wie Optimismus, Leidenschaft, Freundlichkeit, Empathie und Mut basiert.
Bei Holberton geht’s um Pragmatischeres: nämlich ums „Ausbilden der besten Softwareingenieure in jeder Generation“. Dazu werden erst gar keine Professoren eingesetzt, das gesamte Studium ist in Projekten organisiert. Auch hier braucht niemand einen Highschoolabschluss, und die Gebühren sind, verglichen mit der Make School, fast ein Schnäppchen: Absolventen müssen nach Beendigung ihres Studiums drei Jahre lang 17 Prozent ihres Gehalts an die Holberton School abführen. Selbst wer 100 000 Dollar im Jahr verdient – im Silicon Valley nicht ungewöhnlich für Berufsanfänger – zahlt nur 51 000 Dollar für seine Ausbildung.
In den letzten neun Monaten ihrer Ausbildung arbeiten die Holberton-Studenten vor allem online, zuvor lernen sie die Grundlagen der Computerei und Softwarearchitektur gemeinsam in aufwendig ausgebauten Seminarräumen im Financial District. Unterrichtet werden die Gruppen auch von erfahrenen Managern aus der IT-lndustrie, die später dann Aufträge an die fortgeschrittenen Studierenden vergibt: Apps feinschleifen, Programme für Gesichts- oder Mustererkennung in Websites integrieren, Schnittstellen in mobile Datennetze bauen.
Im kalifornischen Fremont, Standort von Teslas großer Autofabrik, hat vergangenes Jahr die US-Dependance der französischen IT-Kaderschule 42 eröffnet. Der Name ist angelehnt an die Zahl, die der Bordcomputer des Raumschiffs in der legendären Science-Fiction „Per Anhalter durch die Galaxis“ als Antwort auf die Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ gibt.
Gegründet wurde 42 (Motto: „Born to code“) 2013 in Paris unter anderem von einem Selfmademilliardär ohne Hochschulabschluss. Auch hier gibt es keine Professoren, wird ausschließlich projektbezogenes Peer-to-Peer-Learning praktiziert, weder Bakkalaureat noch Highschoolabschluss sind vonnöten. Alljährlich bewerben sich zigtausend junge Menschen für das harte Auswahlverfahren in einem vierwöchigen Bootcamp.
Wegen des großzügigen Sponsorings durch die Gründer kostet die Ausbildung keinen Cent. Und so wurde 42 zum größten Alternativangebot für Informatiker.