Über nichts Anderes wird in letzter Zeit so oft und viel berichtet wie über die Geschehnisse in der Türkei und den Präsidenten Erdogan. So hat man manchmal den Eindruck, die Medien wüssten gar nicht, worüber sie zuerst berichten sollen, weil sich auf dem Schauplatz Türkei die Ereignisse geradezu überschlagen. Ständig gibt es eine neue Schlagzeile.
Istanbul. Selbst US-Präsident Donald Trump wird medial von Recep Tayyip Erdogan, Staatoberhaupt der Türkei, vom Tron gestoßen. Dem in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen, bereits in jungen Jahren ambitionierten damaligen Bürgermeister Istanbuls, ehemals wegen Volksverhetzung inhaftierten Gründer der konservativ-demokratischen Partei AKP (Adalet ve Kalkınma Partisi) und heutigen Präsidenten der Türkei wird vorgeworfen, das Land, was er einst prachtvoll aufblühen lassen und Teil der EU werden lassen wollte, nun in eine sowohl politische als auch wirtschaftliche Krise zu führen und eine Diktatur zu erschaffen.
Nach der endgültigen Beschneidung der Macht des Militärs im Jahre 2010, den überraschend guten Ergebnissen der prokurdischen Partei HDP und der Niederlage seiner eigenen Partei AKP bei den Parlamentswahlen 2015 und schließlich nach dem „erfolgreich niedergerungenen“ Militärputsch im Sommer letzten Jahres scheint Erdogan die Rechte, Freiheit und Toleranz des Volkes immer weiter zu beschneiden und jegliche auch nur ansatzweise gefährlich wirkende Gegner oder gar Kritiker aus dem „Weg zu räumen“, weshalb seine politische Vorgehensweise viele diktatorische Züge annimmt. Wird er deshalb von anderen Staaten, mit denen er einst gute und für das Land wichtige Beziehungen führte, kritisiert oder ermahnt, wie zum Beispiel Deutschland, werden diese beschimpft, verunglimpft sowie als Enkel der Nazis und Faschisten bezeichnet. Mit dem Referendum, in dem Türkischstämmige in anderen Staaten bereits jetzt und die Bürger in der Türkei am 16. April über die Verfassungsänderung abstimmen sollen, will Erdogan seine Macht endgültig bündeln und somit seinen Einfluss auf Justiz und Parlament ausweiten. Entscheiden sich die Türken für diese Änderung, müssen sie damit rechnen, dass ihr Staatpräsident bis 2029 oder sogar noch länger im Amt bleibt. Doch wäre dies kluge Entscheidung? Rein wirtschaftlich betrachtet hat Erdogans Politik dem Land nicht gerade viel positives eingebracht. Mit den jüngsten Ergebnissen des türkischen Statistikamtes (TÜIK) bezeugt Erdogan vor dem breiten Publikum in Ankara die Wirksamkeit seiner Strategie. Die Wirtschaftsdaten sind korrekt.
Das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist tatsächlich um 2,9 % gewachsen, doch wurde von der Regierung deutlich mehr erwartet. Und der Schein trügt – die vermeintlich wachsende Konjunktur ist durch erlassene Dekrete und Senkung des Leitzinses bei der Zentralbank schlichtweg erkauft. Zudem wurden von dem Staatsoberhaupt die Mehrwertsteuer auf Möbel reduziert und die Konsumsteuer für Haushaltsgeräte ganz abgeschafft. Die Frist dieser Regelungen (30. April 2017) zeigt sein Ziel: Es geht einzig und allein um den Sieg des Referendums. Was danach passiert, ist ihm zunächst egal. Dass die Tourismusbranche aufgrund der inländischen Unruhen langfristig Schäden tragen, die Arbeitslosigkeit steigen und durch die stetig wachsende Inflation (momentaner Stand: 11,2 %) letztendlich die Konjunktur durch den geringen Konsum der Bürger lahmen wird, scheint ihn heute genauso wenig zu interessieren, wie die Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch die großen Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s. Denn diese verteilten jüngst ihre neuen Noten: BB+. Diese Note wird von Analytikern mit höhst risikoreichen, sich auf Ramschniveau befindenden Staatsanleihen gleichgesetzt.
Das Schicksal der Türkei liegt nun in den Händen des Volkes. Wie es sich entscheiden wird, ist nicht absehbar, doch am 17. April werden die Würfel gefallen und die Zukunft des Landes bestimmt sein.