Bremen. Fürchterlich: Wo man hinschaut, überall glotzen die Leute auf ihr Smartphone, in der Bahn, im Bus, auf der Straße – selbst Mütter mit Kinderwagen haben nur Augen für das Mobilphone. Am schlimmsten sind die Fußgänger, die einen anrempeln, weil sie nicht auf den Weg schauen, kein Interesse haben, Rücksicht zu nehmen. Gefangen in der eigenen kleinen Welt, der Cyberwelt, haben sehr viele den Kontakt zur realen Welt verloren. Selbst in Restaurants liegen die Handys mit auf dem Tisch, damit Mutti direkt die „wichtigen Nachrichten“ abrufen kann, oder das Kind der Familie etwas Ablenkung hat und sich mit einem Onlinespiel vergnügen kann.
Auch in sogenannten TOP-Restaurants greift die Unsitte um sich, dass meistens weibliche Gäste glauben, nicht mehr leben zu können, ohne dass das Mobile in Reichweite liegt. Eine erschreckende Entwicklung, die den Niedergang von Anstand, Benehmen und kulturellem, kultivierten Miteinander deutlich dokumentiert. Dabei sagen Wissenschaftler seit Langem, dass die Abhängigkeit von PC und Handy uns schleichend krank macht. Der Mensch kommt nicht mehr zur Ruhe, entwickelt nervöse Ticks, glaubt er sei unvollkommen und zeigt Entzugssymtome, wenn das mobile Telefon nicht „am Mann“ ist.
Clevere Geschäftsleute propagieren mittlerweile das Malbuch für Erwachsene, zum Ausmalen bunter Motive, was beruhigen soll und die Psyche entlastet. Der Handelsverband Büro und Schreibkultur hat ausgerechnet, dass der Absatz von Mal- und Zeichenbedarf im Jahr 2016 gegenüber dem Vorjahr um 80% gestiegen ist, mit einem Volumen von 45 Mio. Euro. Das Individuum im Datenstrom sucht Halt bei den kindlichen Gegenständen. Daneben haben die geschundenen Cyber-Dämonen auch wieder die gute alte Gartenarbeit für sich entdeckt, dass, was 20 Jahre verpönt war, als über Schrebergärten gelacht wurde, als uncool verspottet, kommt zurück. Die Menschen kaufen tatsächlich vermehrt Hacke und Schaufel, selbst wenn kein eigener Garten zur Verfügung steht, wird eben der eigene Balkon bepflanzt.
Das Analoge kehrt zurück, da gibt es kein Vertun. Selbst das E-Book, ein absolutes „must have“ der 2000er ist nicht mehr en vogue, der Weg führt zurück zum geschriebenen Buch, real in der Hand zu halten. E-Books verkaufen sich seit 3 Jahren gar nicht mehr gut, ihr Umsatz stagniert bei unter 5%. Früher war es üblich, wenn man sich über Bücher und Literatur ausgetauscht hat, heute tauschen die meisten nur noch whatsapp-Nachrichten aus, posten alberne Bildchen oder verplempern ihre Zeit mit Facebook posts, die socila-media Plattform als der „moderne Schauplatz der Eitelkeiten“ – da kann ich zeigen, wo ich überall war, was ich für tolle Reisen mache, was ich für ein grandioser Cosmopolit bin. Angeberei und Selbstdarstellerei, die die wenigen echten intellektuellen Köpfe in unserer Gesellschaft abschreckt und anwidert. Doch diese Erkenntnis schwappt so langsam auf das „Fußvolk“ über. Sinnhaftigkeit und Lebensqualität wird hinterfragt – ein neuer Trend? Festmachen könnte man diesen auch beim Anstieg im Schallplatten-Verkauf. Vinyl ist wieder gefragt. Zwar ist das Streaming nicht mehr weg zu denken, das Körperlose als Synonym für unser virtuelles Leben, aber die gute alte LP(Langspielplatte) ist im Aufwind. Hier hält man die Musik wirklich in der Hand, kann sie aus der Hülle nehmen und auflegen. Das alles geht nicht beim Online-Konsum, ist anonym und synthetisch. In Kanada geht der Stimmungswechsel sogar so weit, dass es Spiele-Cafe`s gibt, in denen bisweilen Hunderte sitzen und würfeln, Karten spielen oder puzzeln. Undenkbar noch vor 5 Jahren. Entschleunigen heißt das Passwort, was Körper und Geist in entspannende Zonen lotst.
Noch ist es aber meistens anders: Päärchen sitzen zusammen im Bus, im Cafe oder Restaurant: beide mit Handys oder Tablet bewaffnet, Kommunikation findet kaum statt, jeder aufkommende Dialog wird abrupt gestoppt, wenn das Smartphone vibriert und eine Message eingeflogen ist. Derzeit fallen gerade die auf, die sich tatsächlich die ganze Zeit unterhalten. Verächtliche Blicke sind nur eine Reaktion darauf durch die Cyber-Generation. Am liebsten würden viele von ihnen Schilder aufstellen mit dem Wortlaut: „Hier spricht man nur das Nötigste.“ Die von A. Huxley propagierte „schöne neue Welt“ ist ähnlich schrecklich, aber offensichtlich vom Wandel erfasst. Also warum nicht ab und zu mal das Handy ausmachen?