Essen. Die Evonik Industries AG mit Sitz in Essen ist ein börsennotiertes Unternehmen. Es wurde ursprünglich als Mischkonzern konzipiert, fokussiert sich jedoch heute auf Spezialchemie.
Als die Runde im Frühjahr vergangenen Jahres miteinander konferierte, ging es um eine Personalie, die es in sich haben würde. Evonik-Aufsichtsratschef-Werner Müller beriet sich mit seinem Kontrolleurskollegen Volker Trautz. Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, ohne den so gut wie nichts gecrackt und zusammengerührt wird in Deutschlands Fabriken, war ebenfalls eingeschaltet. Müller plante einen Umbau im Evonik-Vorstand und suchte einen guten Chemiker.
Bei Evonik stimmte die Mischung nicht mehr, hatte Müller erkannt. Der Vorstandsvorsitzende Klaus Engel, ein Chemiker, wirkte amtsmüde, seit klar war, dass sein Vize und Strategievorstand Christian Kullmann, ein Wirtschaftshistoriker, ihm nachfolgen würde. Und der Chief-Operating Officer Ralph Kaufmann, ein Unternehmensberater und langjähriger Freund Engels, würde künftig auch nicht mehr so recht gebraucht. Seine Aufgabe, die neuen Evonik-Sparten zu ordnen, hatte er weitgehend erledigt.
Was also tun? Trautz hatte eine Idee. Vor seiner Zeit als Chef des niederländischen Chemiekonzerns Llyondell-Basell saß er im Vorstand der BASF und hatte dort mit dem Jungmanager Harald Schwager zu tun. Ein guter Mann, erinnerte sich Trautz. Auch Gewerkschafter Vassiliadis stimmte in das Lob ein. Als Mitglied des BASF-Aufsichtsrats kennt er Schwager, der 2008 in die Vorstandsetage des Ludwigshafener Unternehmens aufgerückt war, ebenfalls.
Inzwischen ist klar: Schwager wird eine tragende Rolle bei Evonik spielen. Engel scheidet in Kürze, 19 Monate vor Ablauf seines Vertrags, aus, sein Spezi Kaufmann geht mit. Ab September drängt der BASF-Mann getreu dem Evonik-Slogan „Kraft für Neues“ nach vorn, er wird stellvertretender Vorsitzender und übernimmt das Ressort Chemie und Innovation. Er soll ein Sparringspartner für Kullmann sein, so der Arbeitsauftrag. Über die Personalie Schwager hatte Müller bereits im Sommer 2016 mit dem BASF-Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Hambrecht gesprochen, die beiden kennen sich seit Jahren gut. Hambrecht hatte keine Einwände. Müller und Kullmann trafen sich mit dem Kandidaten im pfälzischen Deidesheim, danach war die Sache perfekt.
Ungewöhnlich ist die Personalie gleichwohl. Schwager wechselt zu einem Branchenrivalen, so etwas kommt in der verschwiegenen und verschworenen BASF-Kameradschaft selten vor. Die geschäftlichen Überschneidungen sind zwar gering, BASF ist eher in der Grundchemie versiert. Und auf der Peer-Group-Liste von Evonik sucht man den Weltmarktführer vergebens. Allerdings könnten die beiden bei künftigen Akquisitionen auf dieselben Ziele bieten. Evonik will bis 2018 auf 18 Milliarden Euro Umsatz wachsen, 2016 waren es 12,7 Milliarden; das geht nicht ohne weitere Zukäufe.
Der besondere Charme an dem Transfer ist jedoch: Er hilft beiden Seiten. Denn auch Hambrecht baut seinen Vorstand um, will ihn verjüngen. Schwager soll deshalb zur Hauptversammlung Mitte Mai ausscheiden, „zur Ermöglichung einer strukturierten Nachfolge“, wie es offiziell heißt, obwohl sein Vertrag noch bis 2021 läuft. Eine Abfindung bekommt er nicht, darauf legt BASF Wert.
Er braucht sie ja jetzt auch nicht. Nach dreimonatiger Sommerpause beginnt er in Essen. Zwischen Ludwigshafen und der Ruhrgebietsmetropole liegen 240 Kilometer Luftlinie, aber nur wenige Euro. Bei BASF strich Schwager im vergangenen Jahr 2,814 Millionen Euro Gesamtvergütung ein; Evonik-Vize Kullmann bekam 2,783 Millionen. Manche Vorstandswechsel passen schier aufs Komma.