Paris. Meine lieben deutschen Freunde, ich muss euch etwas gestehen: Ich beneide euch. Ja, ich als Franzose ringe mich zu diesem Bekenntnis durch. Es geht um eure Politiker. Sie sind so langweilig, und das finde ich einfach wunderbar. Bundestagsdebatten laufen zivilisiert ab, und selbst die Diskussionen im Fernsehen sind ziemlich höflich. Mit ihren roten Krawatten erinnern mich die SPD-Leute an Pfadfinder, die mit Halstüchern auf Großfahrt gehen. Das Kanzleramt, diese große Waschmaschine, ist das Gegenteil von imposant. Anders als Franqois Hollande wurde Angela Merkel nie von den Paparazzi dabei erwischt, wie sie im Morgengrauen das Haus ihres Geliebten verließ, und sie hat ihrem Mann auch nicht über eine dpa-Meldung den Laufpass gegeben. Martin Schulz hat nicht Frau und Kinder beschäftigt. Gerhard Schröder hat zwar für Gazprom gearbeitet, aber während seiner Kanzlerschaft nicht ein ehemaliges, zur Chansonsängerin umgeschultes Model geheiratet. Während ich für ein paar Jahre in Berlin gelebt habe, Sind mir bei glamourösen Abendessen, zu denen ich manchmal eingeladen war, nie Spitzenpolitiker über den Weg gelaufen. Ich glaube, sie kennen nicht mal die angesagten Restaurants der Hauptstadt wie das Grill Royal oder die Paris-Bar.
Meine lieben deutschen Freunde, eure Politiker sind sachlich, ja, man könnte sagen farblos, sie leiden nicht an einem aufgeblasenen Ego, beschränken sich vielmehr auf ihre Aufgabe, das Volk zu vertreten — ihr habt wirklich Glück. Bei uns dagegen halten sich viele für Rockstars oder Figuren aus Fernsehserien, House of Cards an der Seine. Umringt von Touristen und Fotografen, joggte der frühere Premierminister Dominique de Villepin (Rechte) durch den Schlosspark von Versailles; die ehemalige Justizministerin Rachida Dati (Rechte) schmückte in einer Robe von Christian Dior die Titelseite von Paris Match. Manche haben schlicht kriminelle Energie: Jérome Cahuzac (Linke), bis 2013 Budgetminister, besaß Bankkonten in Steueroasen. Wieder andere nutzen ihre Macht, um ihre Lust zu befriedigen: Ganz Paris wusste schon lange vor der Sofitel-Affäre in New York, dass Dominique Strauss-Kahn (Linke) Journalistinnen im Fahrstuhl belästigte.
All diese Intrigen, Lügen, Arrangements zwischen Freunden (und Gegnern) stünden ihnen zu, so glauben unsere Politiker. Nichts kann ihnen etwas anhaben, sobald sie die höchsten Stufen erklommen haben. Die Nationalversammlung entlohnt 52 Ehefrauen, 28 Söhne und 32 Töchter von Abgeordneten. »Schließlich diene ich Frankreich, also sollen Frankreich und die öffentliche Hand auch mir dienen«, das mag ihre Devise sein. Ganz so, als hätte das Ancien Régime niemals geendet, als regierte bis heute eine Kaste von Privilegierten, die sich über die Gesetze und die Pflichten der Bürger erheben.
Wie so vielen anderen wurde auch mir bei meinem ersten Besuch im Élysée-Palast schwindlig. Knirschender Kies im majestätischen Innenhof. Livrierte Diener. Pomp und Tradition, kunstvolle Vertäfelung, herrliche Spiegel, jahrhundertealte Wandteppiche. Ob gewählter Vertreter, Minister oder Präsident: Sie alle verlieren den Kontakt zur Realität, sobald sie in einen solchen republikanischen Palast einziehen. In Frankreich liebt man Revolutionen, doch die Herrschenden lieben Prunk und Allüren, eine Neigung, die sie von der absoluten Monarchie Ludwigs XIV. geerbt haben. »Der Mythos der absoluten Macht besagt, dass diese offen zur Schau gestellte Pracht den Betrachter sofort für sich einnimmt und ihn in einen Höfling verwandelt«, schreibt der Ideengeschichtler Jean Starobinski in der Abhandlung Die Erfindung der Freiheit.
La Lanterne, ein Jagdschlösschen, inmitten einer Parkanlage in unmittelbarer Nachbarschaft von Schloss Versailles gelegen, dient dem Premierminister und dem Präsidenten als Sommerfrische. Die Journalistin Emilie Lanez nennt das Anwesen die »Junggesellenwohnung der Republik«. Ihr Buch über die Lanterne wurde ein Bestseller. Sie schreibt: »Unter den Gemälden von Fragonard verführen sie ihre Mätressen, laden ihre Freundinnen ein und schmieren ihren Parteigängern Honig ums Maul, bewirten ihre Vertrauten, verwöhnen ihre Freunde. … In La Laterne leben die von uns gewählten Vertreter wie Könige.« Zur Zweihundertjahrfeier der Revolution ließ Premierminister Michel Rocard (Linke) auf Kosten der Steuerzahler einen Tennisplatz und einen Pool bauen. Als, einer der Söhne des früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy den Karpfen in einem der Weiher zusehen wollte und dabei seine Brille verlor, wurde das Becken komplett leer gepumpt, bis man die Brille wiederfand. Dominique de Villepin lud Robert De Niro ein. Die Freunde des ältesten Sohnes von Präsident Hollande (Linke) treffen sich regelmäßig am Pool und lassen sich von den Angestellten Drinks servieren. Marie-Antoinettes Allüren haben überlebt. |
1789 hatte das Volk genug von den Privilegien des Königs und seiner Höflinge. 2017 wetzt der ebenso korrupte Front National — gegen einige aus der Führungsriege wird ermittelt — die Messer: Marine Le Pen hat versprochen, die Eliten einen Kopf kürzer zu machen. Die Wut auf die politische Klasse ist inzwischen so groß, dass Le Pen die eigenen Affären nichts mehr anhaben können.