London. Scheidungen sind meist nicht einfach. Manchmal lösen sie auch einen Rosenkrieg aus. So scheint es nun auch bei der Trennung der EU und Großbritannien der Fall zu sein. Denn bereits nach dem Entschluss, ein Referendum über den Austritt oder Verbleib in der EU durchzuführen, wurde Großbritannien für diese „Ungeheuerlichkeit“ kritisiert und mit Herabstufungen der Kreditwürdigkeit, Handelsbarrieren und weiteren Strafmaßnahmen gedroht. Als es dann am 23. Juni 2016 zur Abstimmung kam und die Mehrheit der Briten (51,9%) die Scheidung wollte, nahm der Rosinenkrieg seinen Lauf. Einige behaupten, die Ehe zwischen der EU und Großbritannien sei von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Warum? Man sollte sich mal vor Augen führen, um was für Charaktere es hierbei geht.
Stolz und Vorurteil
Die einstige Weltmacht Großbritannien, die trotz binnenpolitischer, vorsichtig ausgedrückt, „Diskrepanzen“ zu ihrer Glanzzeit zwei Fünftel der Landfläche der Erde regierte, ist eine von kulturellem und geschichtlichem Stolz geprägte Union vierer Länder. Seit der letzten Eroberung 1066 durch Herzog Wilhelm II. entwickelten sich die demokratischen Institutionen über Jahrhunderte hinweg und sicherten sich mit dem Commomwealth knapp ein Drittel der Weltbevölkerung. Sozusagen eine mächtige, reiche und stolze Person, die Wert auf Kontinuität und Kultur legt, sich ungern etwas sagen und schon gar nicht unterbuttern lässt. Die Insel, die zwar in der Vergangenheit durch Angeln, Sachsen Jüten und später durch Anglonormannen sowohl kulturell als auch sprachlich stark geprägt wurde, konnte sich mit dem europäischen Festland nie richtig anfreunden. Wahrscheinlich sehen viele Briten auch eine Verbindung zwischen den beiden Weltkriegen und den anschließenden Verlust der Weltmachtstellung Großbritanniens und können den Europäern nie wirklich verzeihen, dass die 1973 geschlossene Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nicht die gewünschten wirtschaftlichen Vorteile für sie brachte, wie erhofft und erwartet.
„No! No! No!“
Solch eine Nation sollte nun Mitglied der Europäischen Union werden? Eine Ehe mit einer nach Sozialismus, größerem Einfluss im Weltgeschehen sowie auf Außen- und Sicherheitspolitik, Stärkung der nachbarschaftlichen Beziehungen und Friedenssicherung strebenden Gemeinschaft eingehen? Das haben viele Briten bis heute nicht verstanden. Selbst Ex-Premier Winston Churchill sagte damals schon: „Wann immer wir zwischen Europa und dem offenen Meer wählen müssen, sollen wir uns immer für das offene Meer entscheiden.“ Auch die als „eiserne Lady“ bekannte einstige Premierministerin Magaret Thatcher versinnbildlichte mit ihrem „No! No! No!“ ihre antieuropäische Haltung und gewann nach ihrem Untergang viele Anhänger, die ihr die Treue schworen und ebenfalls gegen ein Bündnis mit der EU waren. Nichts desto trotz wurde die Ehe zwischen beiden Parteien arrangiert. Lange hat sich Großbritannien die Übergabe des Zepters an Brüssel gefallen lassen, doch innerlich kochte das Vereinigte Königreich schon. Gründe hierfür gab es viele: Außerhalb von London wurde aufgrund von Importen nicht genug investiert, Fachkräfte aus Übersee wurden angeworben statt selbst auszubilden, man hätte sich abhängig von internationalen Finanzmärkten gemacht, hätte die nationalen Interessen zu lange vernachlässigt. Die eigene Entscheidung über Freihandelsabkommen, Bündnissen mit anderen Nationen und die eigenen wirtschaftlichen Bedürfnisse und Interessen waren zu lang verdrängt worden. Als es dann um die Flüchtlingspolitik und die vorgeschriebene Anzahl der Flüchtlinge ging, die aufgenommen werden sollten, platze der Insel der Kragen. Einer der Bürgermeister Londons verglich Brüssel sogar mit Adolf Hitler und sagte, Brüssel wolle aus Europa einen Superstaat kreieren, wie es einst Hitler vorhatte. Premierminister David Cameron führte nun im Juni 2016 das aus, was jahrelang schon von den konservativen Briten gefordert wurde – ein Referendum. Fassungslos über die Entscheidung und dann auch noch das Ergebnis schien sich die EU in eine Art Schockstarre zu befinden. Gut 9 Monate lang ließen sich beide Parteien Zeit. Zeit zum Verinnerlichen, Nachdenken, Überdenken, Reagieren. Doch es passierte nichts – bis Theresa May mit ihrer Unterschrift offiziell die Scheidungspapiere bei der EU einreichte.
„Meins, Deins“
Wie bei einer klassischen Scheidung mit anschließendem Rosenkrieg wünscht man dem Ex-Partner alles Übel der Welt. Genauso verhält sich momentan auch die EU gegenüber Großbritannien. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde bereits, wie zuvor angekündigt, von den drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Fitch und Moody’s heruntergestuft. Die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten sowie der Wertverlust des britischen Pfunds würden zu unsichere Zeiten auslösen. Nun starten die Austrittsverhandlungen. Schon hört man von: „du schuldest mir so viel“. Ein Absturz der Konjunktur wurde prophezeit, vielleicht auch erwünscht, alle möglichen Worst-Case-Szenarien wurden medial breitgetreten, um den anderen Mitgliedsstaaten zu verdeutlichen, dass sie nicht einmal mit dem Gedanken spielen sollten, aus der EU auszutreten, weil es ja der schlimmste Fehler sei und sie ja nicht so dumm wie Großbritannien sein sollten. Fakt ist: Zwar sind die Immobilienpreise in der Londoner City etwas eingesackt, doch von einem bereits sehr hohen Niveau aus. Fakt ist auch, dass der britische Pfund an Wert verloren hat. Dadurch wurden Importe teurer und Exporte gefördert. Doch genau das wollte das Vereinigte Königreich ja auch mit dem Brexit erreichen. Denn die Schulden im Ausland wurden immer größer. Und dass dies irgendwann zu einer Krise führt, verdeutlichen andere Länder der Eurozone nur zu gut. Wo Großbritannien in der Zukunft mit einem stetigen Bevölkerungswachstum rechnen kann, muss Deutschland um einen Einbruch der Erwerbsbevölkerung und deren Produktivität und somit um einen Einbruch des Wirtschaftswachstums bangen.
Diese und weitere Faktoren zeigen, dass es den stolzen Briten gar nicht einmal so schlecht nach der Scheidung geht. Vielleicht bringt der Brexit sogar einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich. Die Zeit wird es zeigen. Auch wenn vielleicht die EU insgeheim immer noch auf eine Versöhnung hofft, scheinen die Würfel gefallen zu sein und die einstige Weltmacht kämpft nun wieder für sich allein.