Frankfurt/Main. Ihr Held ist fort, und noch wissen die Frankfurter nicht so recht, wie sie damit umgehen sollen. 15 Jahre lang hat der smarte Wiener Max Hollein (47) die Kunstszene am Main dominiert. Mit seiner einzigartigen Kombination aus Sachverstand und Street-Smartness, Schmäh und Charme machte er als Fundraiser die vermögenden Bürger der Stadt zu Minimäzenen. Als Dreifachimpresario trimmte er Städel Museum, Liebieghaus und Schirn-Kunsthalle auf Weltklasseniveau.
Zum Abschied verneigte sich tout Frankfurt tränenreich vor dem Wunderkind, das nun die Fine Arts Museums of San Francisco leitet. Seither reisen ihm die Frankfurter wie Groupies hinterher, um ihren Phantomschmerz zu lindern. Nachfolger Philipp Demandt (45) konnte noch keine Akzente setzen.
„Hollein war einzigartig“, seufzt Sylvia von Metzler (60), Chefin des Städelschen Museums-Vereins, Bankiersgattin und just zurück von einem Kurzurlaub mit Freundinnen in Nordindien. Von dort hat sie eine veritable Erkältung mitgebracht. Was sie nicht daran hindert, sich von ihrem Büro im Main-Ufer-nahen Bankhaus aus sofort wieder kopfüber in die Planung der nächsten Salons und Fundraising-Dinner zu stürzen.
Als Multimäzenin und Alma Mater der Stadt war sie eng mit Hollein. Beim Geldeintreiben haben beide es zur Meisterschaft gebracht: 85 Prozent des Städel-Etats sind privat finanziert, das Spendennetzwerk ist engstmaschig. Nach Vernissagen bitten Sylvia und Gatte Friedrich (73) Künstler, Politiker und Manager traditionell noch in ihre Sachsenhausener Villa.
Die Einladungen sind die begehrtesten der Stadt. „Auf hohem Niveau versacken“ könne man, schwärmt ein Dauergast. Auch die Kanzlerin war schon da und von Hollein entzückt. Mehr als ein Quantum Wehmut kommt aber nicht auf. Es wäre auch untypisch für Frankfurt. Die MainMetropole ist höchst pragmatisch und gewohnt, nichts geschenkt zu bekommen. Zwar war sie jahrhundertelang Krönungsort deutscher Kaiser, aber nie eine Residenzstadt wie München. Dieses Vermächtnis prägt Frankfurt bis heute: Oberbürgermeister Peter Feldmann (58; SPD) gilt als knauseriger Nonvaleur, der öffentliche Auftritte meidet. Trägheit kann da nicht aufkommen.
Tatsächlich hat sich Frankfurt vor allem dank spendabler Großbürger stets aus sich selbst heraus erneuert – und jetzt, nach der Finanzkrise, den Aufstieg zur globalen Metropole geschafft. Die Erweiterung der City zum Fluss, das Aufblühen des Ostends mit der architektonischen Ikone EZB, die imposante Goethe-Universität rund um das geschichtsträchtige I.G.-Farben-Haus, die international gefeierte Wiedergeburt des Bahnhofsviertels als Gastro- und Artdistrikt: Frankfurt hat sich neu erfunden. Jüdisches Netzwerk Nicht mehr Großbanker in angestaubten Herrenklubs geben den Ton an. Die Dauerkrise hat die Geldgötter müde gemacht und der Stadt die Emanzipierung von der Finanzbranche erleichtert. Für Tempo sorgen wagemutige Unternehmer oftmals jüdischen Ursprungs, die die Stadt mit coolen Bars, Hotels und Restaurants überziehen. Alles verdichtet auf wenigen Quadratkilometern, was Frankfurt mit 730 000 Einwohnern zur kleinsten Businessgroßstadt Europas macht. Wer auf sich hält, wohnt nicht mehr barockpiefig im Taunus, sondern in der City. Bembeltown war gestern.
Der Imagewandel, vor allem im Ausland, ist frappierend. Und er korrespondiert mit dem Bedeutungsverlust klassischer It-Citys (und ihren Disagios): London (Brexit), Paris (Hollande), Mailand (Italien).
Der „Economist“ stuft Frankfurt auf Rang sechs der lebenswertesten Großstädte in Europa ein, weit vor London; die Berater von Mercer voteten Frankfurt auf Platz sieben der Städte mit der besten Lebensqualität weltweit. Vom „Guardian“ bis zur „New York Times“ widmeten angelsächsische Qualitätsmedien Stadt und Bahnhofsviertel Elogen. Frankfurt, das mit rund 30 Prozent auf den höchsten Ausländeranteil aller deutschen Städte kommt, gilt als aussichtsreichster Brexit-Profiteur. Dass das Echo im Inland schwächer ausfällt, halten sie am Main für verkraftbar. Für eine objektive Würdigung des lange belächelten Rivalen ist die Selbstverliebtheit in Berlin, Hamburg und München zu stark ausgeprägt.
Findet auch Albert Speer (82). „Die Diskrepanz zwischen nationaler und internationaler Wahrnehmung ist groß“, sagt der global gefeierte Stadtplaner und Vordenker des neuen Frankfurt. In den 70ern entwickelte er den ersten Hochhausrahmenplan, der den brutalen Abriss der Gründerzeitvillen im Westend stoppte und der Innenstadt Form und Funktion gab.
Südlich der City, in einem unscheinbaren Sachsenhausener Bürokomplex, liegt Speers Planungsbüro AS+P; von hier aus jettet er um die Welt und schiebt Projekte an: Megacitys in China, Fußballstadien in Katar, Olympische Spiele überall. Gerade ist er aus Riad zurück, wo er für die Saudis prächtige Regierungsbauten entwirft.
„In Asien gilt Frankfurt wegen seiner polyzentrischen Struktur als Stadt der Zukunft“, sagt Speer. „Keine Banlieue, die City saugt nicht alles ab. So können sich auch andere Stadtteile entwickeln. Das Ostend etwa.“ Dessen Reanimierung nimmt so richtig Fahrt auf, seit die Europäische Zentralbank 2015 hierhergezogen ist. Rund um die markant-schiefen EZB-Doppeltürme explodieren die Immobilienpreise. Der neue Hafenpark am Main sorgt bei gutem Wetter für mediterrane Atmosphäre in dem ehemaligen Arbeiterviertel, das so gehypt wird wie kein anderes.
Kulturelles Epizentrum ist der Kunstverein „Familie Montez“, der 2014 in die denkmalgeschützten Rundbögen der Honsellbrücke eingezogen ist. Zuvor war „Montez“-Gründer Mirek Macke (57) — Städel-Schüler, Rauschebartträger, Organisator legendärer Partys, Star der Frankfurter Offszene – jahrelang mit Ausstellungen heimatlos durch die Republik geirrt. Sein Vermieter in der City wollte ihn nicht mehr.
Dann endlich reagierte die Stadtregierung im Römer und übergab Macke die 1000 Quadratmeter großen Kasematten.