München. Von Wolfgang Reitzle (67) ist überliefert, dass er schon im Sandkasten darauf geachtet hat, nur ja nicht dreckig zu werden. Nun wird der Großmeister der Deutschland AG als Aufsichtsratschef von Linde gemeinsam mit Übergangs-CEO Aldo Belloni (66) doch richtig zupacken müssen.
Reitzle senkt drastisch die Kosten, um die geplante Fusion mit dem amerikanischen Linde-Wettbewerber Praxair hinzubekommen. Die Linde AG ist zwar eines der profitabelsten Mitglieder der ersten deutschen Börsenliga (Umsatzrendite: 22 Prozent), aber eben längst nicht so gut wie der künftige US-Partner (mehr als 30 Prozent Rendite). Und Praxair-Chef Steve Angel (60) duldet keine Abstriche.
In Teilen des Münchener Konzerns herrscht statt Aufbruch eine Stimmung, als gingen in dem Laden bald die Lichter aus. So durchkämmen zwei externe Großmannschaften die Linde-Organisation nach Sparmöglichkeiten. Volumen: 370 Millionen Euro, was einigen Tausend Arbeitsplätzen entspricht.
Aufräumer von Alix Partners kümmern sich um die Einheiten in Europa. Vor allem in Großbritannien und im skandinavisch-baltischen Raum könnten sie fündig werden. Profis von Strategy, dem Beraterableger von PwC, haben sich den Rest der Linde-Welt vorgeknöpft. Nur an die 8000 deutschen Linde-Jobs können sie nicht ran. Arbeitnehmervertreter haben Reitzle die Sicherung der Beschäftigung an den heimischen Standorten bis Ende 2021 abgerungen. Hier kann allenfalls ein Freiwilligenprogramm etwas bewirken.
Anders hält es Reitzle mit dem Toppersonal. Das genießt weitgehende Jobsicherheit. Die Linde-Vorstände Christian Bruch (46), zuständig für den Anlagenbau, Bernd Eulitz (51), der sich um das Gasegeschäft in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika kümmert, und Sanjiv Lamba (52), Leiter des Segments Asien/Pazifik der Gasedivision, werden ihren Rang behalten. Auch wird ihr Dienstsitz wohl München bleiben.
„Linde hat gute Leute an der Spitze“, sagt ein Reitzle-Mann. Das sei zuletzt nur durch den Streit zwischen Ex-CEO Wolfgang Büchele (57) und seinem Finanzer Georg Denoke (51) verdeckt worden.
Die Leitung des künftigen Executive Commitees (intern: Exco) – aus der Linde AG und Praxair wird voraussichtlich eine Public Limited Company mit Sitz in Großbritannien – übernimmt Angel. Dazu stoßen von US-Seite CFO Matthew White (44) und Topshots wie Guillermo Bichara (42), Rechtsvorstand mit Sitz in Danbury, Connecticut.
Die Ebene unter dem Vorstand wird ebenfalls paritätisch besetzt. Es wird ein üppiger Apparat, vielleicht sogar ein regelrechter Wasserkopf. Allein Lindes Gasedivision zählt neun Regionalleiter. Davon werden vermutlich nur die beiden Verantwortlichen für Nord- und Südamerika durch Praxair-Leute ersetzt. Bei Praxair sind es bislang insgesamt 13 Präsidenten.
Zu all den Gremien dürfte noch eine deutsche Landesgesellschaft hinzukommen. Sie wird auch gebraucht, um die angesparten Pensionen unterzubringen.
Die Aufseher stehen erst recht nicht hintan. An „Day One“ könnten die sechs Kapitalvertreter von Linde zu den neun Praxair-Köpfen stoßen. Alter spielt keine Rolle. Der designierte Chairman Reitzle ist ja auch schon 67.