München. Die Kulisse für die nächste Folge dieser Komödie hätte kaum passender gewählt sein können: eine Münchner Traditionsgaststätte, darin gut 200 Fußball-Anhänger. Vor ihnen: ein korpulenter Mann aus dem Morgenland, der spürbar fremdelt mit der bayerischen Kultur. Dabei hatte Hasan Ismaik schon viel Zeit, um sich mit abendländischen Gepflogenheiten vertraut zu machen — seit nunmehr fünf Jahren ist der Jordanier Investor beim TSV 1860 München.
Doch lange Zeit kam er nur auf Stippvisite zu seinem Club. Er besuchte dann ein Zweitliga-Spiel der Mannschaft im Stadion in Fröttmaning, ließ sich am nächsten Tag in einer dunklen Luxuslimousine zur Geschäftsstelle chauffieren und war schnell wieder weg. Inzwischen scheint es, als halte er sich öfter in München auf als daheim in Abu Dhabi. Beim Treffen mit den Fans kurz vor Weihnachten gab es sogar Bier und bayerische Spezialitäten. Und um Fußball ging es auch: Oben auf der Empore wurde Vitor Pereira vorgestellt, der neue Trainer.
Die Präsentation erinnerte wie so vieles in den vergangenen Wochen bei dem Münchner Traditionsverein an eine bayerische Posse. Mit ihren bizarren, oft auch peinlichen Auftritten belustigen die Verantwortlichen bis heute das Land. Und mittendrin Hasan Ismaik, der meist so unfreundlich dreinblickt, als hätte er längst genug von diesem Verein. Dabei hat sich der Investor im Laufe der Zeit zum Alleinherrscher aufgeschwungen. »2017«, droht er, »wird das Jahr der Veränderungen.«
Dennoch haben viele Fans ihre ursprünglichen Vorbehalte gegen den in Kuwait geborenen Geschäftsmann abgelegt. Ihnen gefällt, dass er bei ihren Weihnachtsfeiern auftaucht, und ein eigenes Stadion will er den Sechzigern auch bauen. Erst recht die Idee mit einem Löwen-Zoo an der neuen Arena finden die Fans gut. Die Raubtiere sollen aus Ismaiks Farm in Kenia kommen. »Und jeder https://www.facebook.com/ismaik1860/wird den Namen eines Spielers tragen, der bedeutend war für 1860«, hat Ismaik versprochen.
Christian Jung dagegen findet die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht peinlich. Der 41 Jahre alte Münchner ist von Kindesbeinen an Sechzig-Fan, ein eingefleischter »Blauer«. Früher ist er mit Freunden zu jedem Auswärtsspiel gereist, jetzt sitzt er regelmäßig mit seinen beiden Söhnen auf der Tribüne. Er gehört zu der immer kleiner werdenden Gruppe von Anhängern, die die Entwicklung im Verein stört und die die Außendarstellung kritisiert. »1860 macht im Moment keinen großen Spaß«, sagt Jung.
Im Mai 2011 war Ismaik als Geldgeber beim damals von der Insolvenz bedrohten TSV 1860 eingestiegen; seitdem hält er die Löwen am Leben. Über seine Interessen wurde viel spekuliert, unter anderem, dass er mit seiner in Dubai registrierten Firma HAM International Limited einen Fuß in den deutschen Markt bekommen wolle. Er selbst hielt sich immer bedeckt, was seine Geschäfte betraf. Bereits mit 14 Jahren sei er ins Berufsleben eingestiegen, erzählte er einmal, und habe »schon in jungen Jahren mit Öl und Immobilien gehandelt«. Bei Recherchen zu seinem Start in München kam heraus, dass er offenbar Beteiligungsgeschäften nachgehe bei Bauträgern und Ölfirmen in Abu Dhabi, Riad, Dubai, New York, London, Amman und Damaskus.
Die Rahmenbedingungen für sein Engagement im deutschen Fußball entsprachen von Anfang an nicht seinen Vorstellungen. Nach der sogenannten 50+ 1-Regel der Deutschen Fußball-Liga darf er nur 49 Prozent der stimmberechtigten Anteile der Profiabteilung besitzen (darüber hinaus hält er elf Prozent stimmloser Anteile). Ismaik verstand nicht, dass er zwar alles zahlen, aber nicht allein entscheiden darf. »Wenn Sie einen Mercedes haben, ihn sich aber nicht mehr leisten können und verkaufen, dann können Sie auch nicht erwarten, dass Sie künftig noch am Steuer sitzen werden«, sagte er nach seinem Einstieg bei den Löwen.
Vielen Vereinsanhängern war Ismaik einst wie ein — wenngleich suspekter — Retter erschienen. Es gibt aber auch Fans wie Christian Jung, die es besser gefunden hätten, der TSV 1860 wäre in die Insolvenz gegangen, »mit einem geordneten Rückzug und einem geordneten Wiederaufbau, statt sich in eine Abhängigkeit zu begeben«. Die Befürchtungen von Christian Jung haben sich schnell bestätigt. »Ismaik versteht nicht, dass man einen Fußballverein in Europa nicht so führen kann wie eine Firma in der arabischen Welt.«
Der Investor versucht stets mehr Einfluss zu nehmen, als ihm zusteht — und wenn etwas nicht so läuft, wie er es gerne hätte, droht er einfach. Wie neulich der Stadt München wegen des ins Stocken geratenen Stadion-Projekts. »Wenn wir uns in den nächsten Monaten weiterhin im selben Status befinden, werden wir überlegen, ob wir außerhalb Münchens ein Grundstück suchen müssen«, sagte er der Münchner AZ. Theoretisch könnten ihn die Gremien des Vereins bei seinen Alleingängen bremsen. Aber aus Sorge, er könnte die Zahlungen einstellen, halten sie sich meist zurück. Der aktuelle Präsident Peter Cassalette beschloss nach seiner Wahl vor gut einem Jahr, gar nicht mehr auf Konfrontationskurs zu gehen — und hat damit sich und den Verein völlig dem unberechenbaren Investor ausgeliefert.
Wie wenig Einfluss die Clubgremien noch haben, zeigte jene Pressekonferenz im November, auf der eigentlich nur die Entlassung des Trainers Kosta Runjaic und die Entmachtung des Sportdirektors Thomas Eichin bekannt gegeben werden sollten. Die Veranstaltung geriet zu Ismaiks Ein-Mann-Show, der seinen Unmut über den ausbleibenden Erfolg in harsche Worte fasste. Den degradierten Eichin kanzelte er zusätzlich ab: »Wir fordern ihn auf, die Leistung zu bringen, die wir von ihm erwarten, um den Verein voranzubringen.« Ismaik spricht ganz gut Englisch, aber in der Öffentlichkeit lässt er fast immer von einem Dolmetscher sein Arabisch übersetzen.
Eichin wurde ein paar Tage später entlassen. Dabei war es Ismaik selbst gewesen, der den früheren Manager von Werder Bremen am Saisonanfang für Oliver Kreuzer geholt hatte. Nur ein paar Monate später fand er, dass trotz einer deutlichen Budget-Erhöhung und einer runderneuerten Mannschaft mit erfahrenen Profis wie Ivica Olic oder Stefan Aigner nichts besser geworden sei. Eichins Nachfolger, Anthony Power, hatte Ismaik auch schon parat. »Ein Finanzexperte« sei der neue Geschäftsführer, sagte Ismaik und deutete auf einen Mann, der zwischen den Journalisten stand. »Good afternoon, my name is Anthony«, stellte der Neue sich vor und gab anschließend einen kurzen Einblick in seine berufliche Vita. Gelernt habe er Maschinenbauingenieur, aktiv sei er in den unter- schiedlichsten Branchen gewesen, allerdings nie im Fußball. Weil die Berichterstattung über die seltsame Pressekonferenz nicht den Vorstellungen Ismaiks entsprach, ließ er über den Verein kurzerhand einen Medienboykott aussprechen und erteilte den Journalisten ein Hausverbot.
Ismaiks Ziel: Er will bei den ganz Großen in der Champions League mitmischen
Unterdessen hat Power in den vergangenen Wochen begonnen, die Geschäftsstelle umzukrempeln, und zum Beispiel die Anordnung erteilt, dass nur noch auf Englisch kommuniziert wird. Während sich der Finanzexperte ungeniert auch in sportliche Fragen einmischt, gibt sich Ismaik plötzlich als Mann der Basis. Er sei inzwischen kein Investor mehr, »sondern ein großer Löwen-Fan«, sagt er und erfreut die Anhängerschaft mit Kampfansagen an den ungeliebten FC Bayern. »Der Tag wird kommen, an dem wir uns wieder auf dem Spielfeld gegenüberstehen werden«, lässt er durch sein Berliner Pressebüro über Facebook verbreiten.
Fans wie Christian Jung glauben den Grund zu kennen, warum der TSV 1860 immer wieder zur Lachnummer verkommt. Für Jung hat das auch mit »unserem Hang zum Größenwahn« zu tun, »der prägt uns seit vielen Jahren«. Der sei immer noch da, obwohl der Verein den Status der Nummer eins in der Stadt bereits vor fast 50 Jahren an den Lokalrivalen FC Bayern verloren hat. Die Sehnsucht, um jeden Preis mithalten zu können mit dem weit enteilten Nachbarn, trieb immer schon seltsame Blüten. Dass sich nach der Bundesliga-Rückkehr 1979 der damalige Trainer Eckhard Krautzun ernsthaft mit dem Gedanken trug, Diego Maradona zu verpflichten, gehört zu den amüsanten Anekdoten. Andere GroßkotzTräume waren hingegen existenzgefährdend. Der Baulöwe Karl Heckl verpulv€rte in den achtziger Jahren zwar sein eigenes Geld, hinterließ dem Verein aber eine Menge Probleme, als er von heute auf morgen abtrat mit den Worten: »Ich bin der Einzige, der beim TSV 1860 Millionär wurde. Vorher war ich Milliardär.« Seine Nachfolgerin Liselotte Knecht musste einen Sparkurs einschlagen; die Mannschaft schaffte dennoch den lange ersehnten Aufstieg in die zweite Liga. Anerkennung fand die Präsidentin trotz vieler richtiger Entscheidungen kaum: Sie war halt eine Frau und hatte, auch das noch, die Karriere in der Turnabteilung des Vereins begonnen. Als der Club nach nur einem Jahr wieder abstieg, zog sich Liselotte Knecht zurück. Mit dem Metzgermeister und Wiesn-Wirt Karl-Heinz Wildmoser kehrte zwar sportliche Kontinuität ein, aber auch er hatte das Ziel, auf Augenhöhe mit den von ihm verehrten Bayern zu stehen, und ließ sich schließlich auf das gemeinsame Stadion-Projekt ein. Als sich herausstellte, dass sich der TSV 1860 damit übernommen hatte, war der Patriarch bereits abgetreten, gestolpert über die Bestechungsaffäre beim Bau der Arena, in der Wildmoser junior eine wichtige Rolle gespielt hatte.
Ismaiks Ansprüche passen ins Bild des ehemaligen Arbeitervereins, der schon immer höher hinauswollte, als er konnte. Bei seinem Einstieg formulierte der Investor als Ziel, 1860 auf eine Stufe mit dem FC Barcelona zu hieven. Dass es bisher nicht einmal mit dem Aufstieg in die erste Liga geklappt hat und der Verein derzeit als Tabellen-Vierzehnter nur drei Punkte vor einem direkten Abstiegsplatz über wintert, liegt aber auch an Ismaik, der sich weder durch Geduld noch durch Fußball-Sachverstand auszeichnet.
Mit Vitor Pereira ist inzwischen bereits der zwölfte Trainer seit 2011 im Dienst, dazu kommen fünf Sportdirektoren und fünf Präsidenten. Stets schart der 39 Jahre alte dreifache Familienvater Ismaik Berater um sich, die im Verein entweder als Statthalter fungieren oder aus der Ferne Einfluss nehmen, vom deutschen Fußball oft aber wenig und von der zweiten Liga gar keine Ahnung zu haben scheinen. Doch genauso schnell fühlt sich Ismaik auch wieder hintergangen. »Es gibt Leute im Verein, die Korruption und Plünderung unterstützen«, hat er im November auf Facebook posten lassen. Im Moment bewegt er sich in London in einem Zirkel einflussreicher Investoren, darunter sind auch Fußball-Strippenzieher wie Ian Ayre. Der bald scheidende Vorstandsboss des FC Liverpool soll im Sommer Geschäftsführer bei 1860 werden. Zu Ismaiks neuen Vertrauten zählt auch der Spielerberater Kia Joorabchan. Der in England aufge- wachsene Iraner hat zu Saisonbeginn die Brasilianer Ribamar und Victor Andrade zum TSV 1860 vermittelt und nun angeblich auch den neuen Trainer empfohlen.
Ismaiks Ziel ist klar: Er will in die Champions
League, mitmischen im Kreis der ganz großen Clubs. Einmal versuchte er den ehemaligen englischen Nationalcoach Sven-Göran Eriksson nach München zu holen, das wussten die Vereins- verantwortlichen noch zu verhindern. Hinter der Verpflichtung von Pereira, versicherte Präsident Cassalette, stehe hingegen der gesamte Club.
Der 48 Jahre alte Portugiese kennt die Champions League tatsächlich, scheiterte mit dem FC Porto einst aber in der Vorrunde. Danach arbeitete er noch in verschiedenen Ländern, gewann Titel in Portugal und Griechenland. Als pflegeleicht gilt er jedoch nicht. In Piräus hat sich Pereira mit dem Präsidenten angelegt und beim saudischen Club Al-Ahli Dschidda mit dem Mediendirektor, wie ein im Internet kursierendes Video zeigt. Darin erklärt der aufgebrachte Trainer auf einer Pressekonferenz, dass er sich nicht vorschreiben lasse, was er den Journalisten erzählen dürfe — in einem allerdings nahezu unverständlichen Englisch: »I speak what I saw, no what you want that I want to say.« Bei seiner Präsentation versprach er: »We go to the top.«
Bis zu 100 Millionen Euro, hat Ismaik vor Weihnachten angekündigt, wolle er in die Mannschaft investieren, damit der deutsche Meister der Saison 1965/66 vielleicht doch wieder zu dem wird, was er einmal war. »Wir machen keine halben Sachen«, sagte er — und schickte die Mannschaft so lange wie noch nie in der Vereinsgeschichte ins Winter-Trainingslager. 16 Tage lang bereiteten sich die Löwen mit dem neuen Trainer auf einer Halbinsel bei Lissabon auf große Taten vor. Geschlafen wurde in einem Viersternehotel, trainiert in der exklusiven Anlage One Troia des Trainer-Gurus José Mourinho.
Auf Fans wie Christian Jung macht Pereira keinen schlechten Eindruck. »Ich möchte nicht ausschließen, dass es funktioniert«, sagt er. Und wenn nicht? »Dann dreht Ismaik wieder durch, und alles geht von vorn los.«