New York. Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, ist wegen „Fahrlässigkeit im Amt“ während ihrer Zeit als französische Finanzministerin am Montag in Paris verurteilt worden. Allerdings verzichtete das Gericht darauf, gegen sie eine Geld- oder Gefängnisstrafe zu verhängen. Das Gericht hielt ihr vor, sie hätte 2008 als verantwortliche Ministerin Einspruch gegen die Entscheidung eines Schiedsgerichts einlegen müssen, das dem Geschäftsmann Bernard Tapie 403 Millionen Euro Entschädigung auf Kosten des Steuerzahlers zugesprochen hatte. Anwälte der IWF-Generaldirektorin bewerteten das Urteil als „halben Freispruch“ und betonten, Lagarde wolle ihr Amt fortführen.
IWF-intern zeigte man sich überrascht, ging aber zunächst davon aus, dass Lagarde auch nach dem Schuldspruch im Amt bleiben kann. Das Exekutivdirektorium, das alle 188 Mitgliedsstaaten repräsentiert, werde prüfen, wie sehr das Ansehen der Institution und ihrer Chefin durch das Urteil beschädigt seien, hieß es in Fonds-Kreisen. Nur im Fall eines erheblichen Reputationsverlusts sei ein Rücktritt unabdingbar. Bisher genoss Lagarde sowohl bei der Fonds-Belegschaft als auch bei großen Anteilseignern wie den USA und Deutschland großen Rückhalt.
Das Gericht warf Lagarde vor, die Entscheidung des Schiedsverfahrens 2008 kritiklos hingenommen zu haben. Eine Überprüfung der Entschädigung für Tapie, so das Gericht, hätte später aufgedeckte Manipulationen im Rahmen des Schiedsverfahrens schon früher offenlegen können. Das Gericht bemängelte, dass Tapie 45 Millionen Euro für „immaterielle Schäden“ gezahlt worden seien. Da das Urteil keine Strafe vorsieht, muss Lagarde keinen Eintrag im Strafregister befürchten.
Tapie hatte behauptet, die Staatsbank Crédit Lyonnais habe ihn 1993 beim Verkauf des deutschen Sportartikel-Herstellers Adidas betrogen. Ein anderes Gericht hatte 2015 den Fall geprüft, die 403 Millionen Euro Entschädigung annulliert und das Geld von Tapie zurückverlangt — bisher vergeblich. Ein weiteres Strafverfahren prüft, ob es zwischen Vertrauten Tapies und einem Mitglied des Schiedsgerichts illegale Absprachen gegeben hat.
Lagarde hatte vor Gericht betont, ihr sei „das Risiko eines Betrugs völlig entgangen“. Für eine Prüfung des Schiedsverfahrens seien ihre Mitarbeiter zuständig gewesen. Das Gericht hatte ihr vorgehalten, die Entschädigungshöhe hätte ihr „wie ein Schlag in die Magengrube“ erscheinen müssen. Lagardes Anwälte deuteten an, ihre Mandantin sei damals von ihrem Büroleiter Stéphane Richard hintergangen worden. Richard, inzwischen Chef des Telekom-Konzerns Orange, hatte eine Aussage verweigert, weil er sich als Beschuldigter in einem anderen Prozess zur Tapie-Affäre stellen muss. Bestritten hatte Lagarde Spekulationen, sie habe als Ministerin der Schlichtung zugestimmt, weil der damalige Präsident Nicolas Sarkozy Druck auf sie ausgeübt habe. Tapie war während Sarkozys Amtszeit 17 Mal im Élysée-Palast von Mitarbeitern empfangen worden.