Berlin. „It’s the economy, stupid“ – der Satz, den Bill Clintons Wahlkampfmanager vor einem Vierteljahrhundert prägte, erweist seine Wahrheit immer noch aufs Neue. Die Bertelsmann-Stiftung, die im Sommer die Motive rechtspopulistischer Wählerinnen und Wähler in Europa untersuchte, kommt zu einem ganz ähnlichen Ergebnis: Demnach sind nicht die oft — auch von ihnen selbst — vielbeschworenen Werte entscheidend, eine traditionelle Einstellung zur Familie und zur Rolle der Frauen etwa oder zur Umwelt. Es sind vielmehr Ängste, teils sehr konkrete, die den Rechten ihr Publikum in die Arme treiben.
In ganz Europa ist es demnach die Furcht vor der Globalisierung, die Menschen ihre Stimme nach rechts vergeben lässt. Und das tun sie desto häufiger, je älter, vor allem aber je ärmer und weniger gebildet sie sind. 47 Prozent der befragten Europäerinnen und Europäer, die sich selbst der Arbeiterschicht zugehörig fühlen, gaben an, sie fühlten sich von der Globalisierung bedroht, aber nur 37 Prozent in der Mittelschicht.
Die etablierten Parteien müssen die Angst vor der Globalisierung in ihre Arbeit einbeziehen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus. Man dürfe das Werben um besorgte Bürger nicht den Populisten überlassen.
Die Neigung zu den genannten traditionellen Werten ist dagegen in allen 28 EU-Staaten gut verteilt über alle politischen Lager und somit „anscheinend keine entscheidende Größe, die das populistische Wahlverhalten erklären würde“, wie es im am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Text heißt. Wobei übrigens Briten, Polen und Franzosen besonders viel von ihnen halten: Dort hängen 55 Prozent der Bevölkerung am mehr oder weniger Althergebrachten. Am wenigsten traditionalistisch eingestellt sind Ungarn und Österreich (je 38 Prozent), gefolgt von Deutschland (39).
Bei Anhängern linker Parteien spielen der Untersuchung zufolge Globalisierungsängste zwar auch eine Rolle — sie sind aber nicht so bestimmend wie im rechtsnationalen Spektrum und überschreiten seltener die 50-ProzentMarke. EU-weit am ausgeprägtesten sind Globalisierungsängste in der linken Parteiengruppe bei der französischen Front de gauche mit 58 Prozent und der deutschen Linkspartei mit 54 Prozent. Bei CDU/CSU, SPD und den Grünen spielen Globalisierungsängste keine herausragende Rolle: Jeweils gut ein Drittel der Anhänger dieser Parteien hat laut Umfrage Angst vor der Globalisierung.
Während in Österreich mit 55 Prozent und in Frankreich mit 54 Prozent die Angst vor der Globalisierung am höchsten ist, sehen 64 Prozent der Menschen in Großbritannien und jeweils 61 Prozent der Italiener und Spanier die Globalisierung als Chance. Deutschland liegt hier im EU-Trend – 55 Prozent der Bundesbürger begreifen die internationale Verflechtung als Chance, 45 Prozent ha ben Angst vor ihr. Am aufgeschlossensten gegenüber der Globalisierung sind junge Europäer zwischen 18 und 25 Jahren – in dieser Altersgruppe betrachten 61 Prozent die Globalisierung als Chance.
Der Angstforscher Borwin Bandelow sagte zu der Studie: „Früher war es ein Überlebensvorteil, Angst vor Fremden zu haben. „Als die Menschen noch „in Stämmen organisiert waren, war es wichtig, den eigenen Stamm zu unterstützen und andere bis aufs Blut zu bekämpfen. Die Ängste, die daraus entstanden, sind bis heute in jedem Menschen präsent“, sagte der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst.