Als sich am Montag die gepanzerten Wagen der irakischen Armee in Richtung Mossul auf den Weg machten, geschah 600 Kilometer westlich im Nachbarland Syrien etwas lange Ersehntes: Auf Aleppo fielen mit einem Mal keine Bomben mehr. Nur acht Stunden lang — dann ging die Zerstörung weiter. Die Feuerpause war zu kurz, um das Leid der Menschen in Aleppo zu lindern. Aber sie war lang genug, um einer müden Weltöffentlichkeit die Chance zu geben, endlich den Blick von der zerstörten Metropole Nordsyriens abzuwenden.
So löst in diesen Tagen eine Schlacht die andere ab. Der nicht enden wollende „Krieg gegen den Terrorismus“ wird jetzt in Mossul weitergeführt, der Metropole des Nordiraks. Seit Sommer 2014 in den Händen des „Islamischen Staates“, soll die Millionenstadt nun endlich zurückerobert werden. An die Stelle der hoffnungslosen Abnutzungsschlacht in Syrien, in der das Regime mit russischer und iranischer Hilfe den widerständigen Osten Aleppos zermalmt, tritt der frische Kampf gegen den IS: Irakische Soldaten rücken zusammen mit gut ausgerüsteten, hoch motivierten kurdischen Peschmerga mit amerikanischer Luftunterstützung auf Mossul vor, wo einige Tausend Dschihadisten eine geschätzte Million Zivilisten in ihrer Gewalt halten. Wenn der Plan aufgeht, soll die Stadt in einigen Wochen zurückerobert sein.
Dieser Kampf wird die Welt in Atem halten. Gelingt es, dem »Islamischen Staat« sein Territorium zu nehmen, ist zwar die terroristische Gefahr nicht gebannt. Es kann sogar gefährlicher werden, weil die Organisation dann um ihr Überleben kämpft und zum Ausweichen gezwungen wird. Doch weil die Dschihadisten um Abu Bakr al-Bagdadi ihren Nimbus daraus ziehen, mit der Verwirklichung des Kalifats schon begonnen zu haben, träfe sie der Verlust Mossuls (und danach hoffentlich auch Rakkas) empfindlich.
So wichtig es ist, den IS an seinen Rückzugsorten zu besiegen — es liegt auch eine Gefahr darin, dass diese neue Kampagne die andere, skandalöse Schlacht um Aleppo vergessen macht, die ja unterdessen weitergeht.
Den beiden entscheidenden Mächten — den Amerikanern als Schutzmacht im Irak und den Russen als Garanten des syrischen Regimes — wäre es zurzeit ganz recht, wenn Aleppo durch Mossul verdrängt würde: So verschwände die peinliche Tatsache aus den Augen, dass Amerika unter Obama Syrien aufgegeben hat. Und Russland hat schon begonnen, die Kritik an seiner Kriegsführung in Syrien mit Verweis auf die amerikanische Offensive im Irak zu parieren, nach dem Motto: Was wir in Aleppo tun, macht ihr in Mossul — alles ein Antiterrorkampf.
Warum ist Aleppo für die russische Politik so wichtig geworden? Wie passt die Unterstützung eines verhassten und diskreditierten Regimes in Wladimir Putins außenpolitische Strategie? Man muss Aleppo und Mossul zugleich im Blick behalten: An diesen beiden Orten — uralte Kulturstädte und Wirtschaftsmetropolen — wird heute um ganz verschiedene Vorstellungen von einer Neuordnung des Mittleren Ostens gekämpft. In Aleppo will das wieder erstarkte Russland einen Schlussstrich unter die gescheiterte westliche Interventionspolitik ziehen. Ordnung wird hier mit aller Härte gegen jeglichen Aufstand durchgesetzt. Das ist eine Botschaft weit über die arabische Welt hinaus.
In Mossul hingegen kann man sehen, wie die USA versuchen, den Schaden ihrer vorherigen Einmischung zu begrenzen. Die Zerstörung des irakischen Staates durch die Invasion von 2003 steht am Anfang der heutigen Misere: Die Entfremdung der von der Macht vertriebenen Sunniten und die Auflösung der irakischen Armee hatten den Grund für den IS bereitet, gegen den man nun marschiert. Der Terror, der nun wieder einmal besiegt werden soll, ist durch die Unterdrückung der Sunniten erst so richtig groß geworden. Eigentlich geht es hier darum, die Voraussetzungen für einen Rückzug zu schaffen. Darum agieren die Amerikaner aus der zweiten Reihe — durch Aufklärung und Luftunterstützung. Die Hoffnung ist, dass die schiitisch dominierte irakische Regierung aus dem Versagen ihrer Vorgänger gelernt hat — und die Terroristen des IS bekämpft, ohne weiter die Sunniten zu verprellen.
Amerika wird sich auf absehbare Zeit nicht ganz zurückziehen können. Aber es will seinen Fußabdruck reduzieren, weil es das arabische Öl nicht mehr braucht und noch jede Einmischungspolitik hier den Hass hat wachsen lassen. Darum muss die Chance genutzt werden, dass der Irak als Staat erhalten bleibt, in dem Kurden, Christen, Schiiten und Sunniten zusammenleben.
Kein Mensch weiß in Wahrheit, ob das noch geht — im Irak ebenso wenig wie in Syrien. Ja, es ist möglich, dass beide Schlachten um einen neuen Mittleren Osten mit Erfolgen enden, die schon die nächsten Niederlagen in sich tragen: Assad gerettet (um den Preis der Zerstörung Aleppos), der IS vertrieben (und doch die Sunniten unterdrückt). Dass Befreiung und Zerstörung ein und dasselbe sein können, hat die Region schon allzu oft erfahren.