Manchmal kommt es tatsächlich vor, dass sich die Nachrichtenlage mit dem eigenen Erleben deckt. Wer in diesen Wochen beispielsweise in einer Großstadt wie Hamburg auf der Suche nach einer Hebamme ist, wird feststellen, dass die meisten schon bis weit ins Jahr 2017 hinein ausgebucht sind — es künden sich offenbar viele Babys an. Zu dieser subjektiven Wirklichkeit passt eine Zahl, die das Statistische Bundesamt Anfang dieser Woche in den Nachrichtenfluss einspeiste: In Deutschland bekamen Frauen im Jahr 2015 durchschnittlich 1,5 Kinder — damit ist die Geburtenrate so hoch wie zuletzt vor 33 Jahren.
Hamburg. Da könnten die eigentlich gebärfaulen Deutschen, denen Bevölkerungsforscher seit Jahrzehnten das Aussterben voraussagen, doch ordentlich jubeln! Oder? Nun ja, verhalten. Skeptiker bremsten Anflüge von Euphorie sogleich mit allerlei Gegenargumenten aus.
So könnte das Ganze nur ein kleiner Hüpfer in der langfristig nach unten zeigenden Geburtenkurve sein, eine Spätfolge jener geburtenstarken Jahrgänge, die es zuletzt vor drei Jahrzehnten gab. Die damals geborenen Frauen sind jetzt im gebärfähigen Alter, und da sie relativ viele sind, gibt es auch mehr Geburten.
Die nachfolgenden, kleineren Kohorten werden entsprechend weniger Babys zur Welt bringen, so die Logik. Außerdem stellten die Skeptiker fest, dass gar nicht »die Deutschen« 2015 mehr Kinder bekamen, sondern vor allem zugezogene Frauen aus Ost- und Südeuropa (die Flüchtlingswelle des vergangenen Jahres schlägt sich in den Daten noch nicht nieder). Die Geburtenrate ausländischer Frauen stieg von 1,86 auf 1,95 pro Frau, wogegen der Wert der in Deutschland Geborenen eher zaghaft wuchs, von 1,42 auf 1,43.
Für diese Zaghaftigkeit gibt es nach wie vor Gründe. Immer noch gleicht die Suche nach einem Kita-Platz in vielen (westdeutschen) Regionen einem Glücksspiel. Immer noch werden in vielen Betrieben insbesondere Männer von Chefs und Kollegen schief angeschaut, wenn sie Vätermonate nehmen wollen — ohne diese aktive Elternrolle des Mannes will aber nur noch eine Minderheit der Frauen eine Familie gründen. Und immer noch sind Akademikerinnen überproportional häufig kinderlos, weil sie ihre lange Ausbildung erst mal in beruflichen Erfolg ummünzen wollen. Tickt dann ab Mitte 30 die biologische Uhr, klappt oftmals die Zeugung nicht mehr, oder es fehlt der richtige Partner, und die letzten fruchtbaren Jahre ziehen ungenutzt dahin.
Das alles ist zweifellos Teil der deutschen Realität, aber es gibt mittlerweile eben auch einen anderen Teil. Den Skeptikern sei gesagt: Einiges deutet darauf hin, dass die gestiegene Geburtenrate kein statistischer Ausreißer ist, sondern Ausdruck einer stetigen Entwicklung. (Dass Zuwanderung dabei hilft — umso besser!) Demografen sprechen von einem Geburtentrend, selbst unter deutschen Akademikerinnen. Politische Maßnahmen wie Kita-Platz-Ausbau und Elterngeld haben einen Mentalitätswandel befördert: Standen Frauen bis in die neunziger Jahre hinein noch häufig vor der Wahl, sich zwischen Beruf und Elternschaft entscheiden zu müssen, ist die Kombination von beidem heute immer selbstverständlicher. Die Männer werden gleichziehen — der abwesende Vater, den viele selbst zu Hause erlebten, möchte heute kaum noch ein Mann sein. Und für beide Geschlechter gilt: Das Bedauern Kinderloser über die verpasste Chance ist wesentlich größer als das Bedauern mancher EItern über die gegenteilige Entscheidung.
All das belegen neuere Untersuchungen vielleicht breitet sich ja die Erkenntnis aus, dass ein Leben von mittlerweile 80 oder mehr Jahren so ganz ohne Kinder am Ende doch irgendwie langweilig sein könnte.
Eine (noch so gering) gestiegene Geburtenrate sagt auch: Eine wachsende Zahl von Frauen und Männern traut es sich augenscheinlich zu, ein Kind in die Welt zu setzen — ein Vorhaben, das in seiner Unplanbarkeit immer noch ein großes Abenteuer ist. Und das wagen Menschen nur, wenn das Vertrauen, dass man schon alles schaffen wird, größer ist als die Sorge zu scheitern. Wer Angst hat, bekommt kein Kind. Insofern ist es ein großartiges Signal, dass der Optimismus in Deutschland offenkundig Anhänger hinzugewinnt. Hoffen wir, dass das auch nach dem politischen Krisenjahr 2016 so bleibt.