Es gab eine Zeit, da war Globalisierung beinahe cool. Die Idee, dass freier Handel mit einem fremden Land beiden Ländern Wohlstand bringt, wurde im Vereinigten Königreich in den 1840er Jahren zur politischen Bewegung. Tausende gingen dafür auf die Straße. Sie wollten Hunger und Armut beseitigen — und natürlich wollten sie exportieren.
Brüssel. Im Jahr 2016 ist von solch positiven Gefühlen gegenüber dem Freihandel nichts zu spüren. Vielmehr ist in der ganzen westlichen Welt eine Bewegung gegen die Globalisierung entstanden, wie es sie lange nicht gab. „Take back control“ ist einer ihrer Slogans. „Make America great again. “ Oder: „Stoppt TTIP!“ Es sind sehr unterschiedliche Menschen, die diesen Slogans folgen. Doch eines haben sie gemeinsam: Von der Globalisierung und ihrem Kern, dem Freihandel, fühlen sie sich bedroht.
In Deutschland gehen Hunderttausende auf die Straße, um gegen Freihandelsabkommen wie Ceta mit Kanada oder TTIP mit Amerika zu demonstrieren. Die Briten haben sich entschieden, die Europäische Union zu verlassen. In Amerika will Präsidentschaftskandidat Donald Trump alle Freihandelsabkommen neu verhandeln, um einen »besseren Deal« zu bekommen. Auch seine Konkurrentin Hillary Clinton ist nun freihandelskritisch. (auch die EU ist freihandelskritisch – lesen Sie mehr)
Die Bewegung gegen die Globalisierung gewinnt derzeit so viel Macht, dass es ihr bald gelingen könnte, neue Mauern zu errichten für Waren und für Menschen.
Jeder fühlt mit dieser Bewegung. Man muss nur sehen, wie rasant die Globalisierung die Nachbarschaft, den Arbeitsplatz verändert, um den Impuls zu verstehen, das alles zurückdrehen zu wollen. Und natürlich ist der Freihandel keinesfalls immer für jeden gut. Manches ist sogar besonders hart, zum Beispiel wenn jemand seine Stelle verliert, weil ein ausländisches Unternehmen die Arbeit besser oder billiger macht. Dazu kommt, dass die westliche Mittel- und Unterschicht durch die Globalisierung zuletzt weniger an Wohlstand dazugewonnen hat als die Oberschicht. Auch das gefällt nicht jedem.
Doch deshalb nun die Grenzen dicht zu machen ist auch nicht die Lösung. Denn richtig gemacht überwiegen die positiven Effekte des Freihandels für (beinahe) jedes Land. Die Länder der westlichen Welt verdanken ihren Aufstieg und ihr Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg der Tatsache, dass der Handel miteinander freier wurde und die Welt durch neue Technologien zusammenrückte. Es gewannen dabei keineswegs nur die Akademiker, Reichen und Mobilen. Nein, auch Arbeiter und kleine Angestellte hatten und haben etwas davon.
Heute gibt es in Deutschland die höchsten durchschnittlichen Bruttogehälter in Städten wie Wolfsburg (VW) oder Leverkusen (Bayer), wo nicht nur Manager arbeiten, sondern auch viele Arbeiter. Einst ärmliche Landstriche wurden zuletzt aufgewertet, weil ihre mittelständischen Unternehmen genau das herstellten, was China brauchte: deutsche Maschinen.
Wer nicht über den Job profitiert, tut es als Konsument von Produkten, die er ohne Globalisierung entweder gar nicht oder nur zu viel höheren Preisen bekäme. Damit einher geht mehr Bewegungsfreiheit, die gerade Deutsche begeistert nutzen — sei es durch Reisen nach Mallorca oder nach Sydney.
Wem das zu egoistisch, zu westlich ist, der kann sich anschauen, wie es anderen Ländern in jüngerer Zeit ergangen ist. Die Globalisierung ist das stärkste Anti-Armuts-Projekt der Geschichte. Lebten zur Jahrtausendwende nach Angaben der Weltbank noch rund 30 Prozent der Weltbevölkerung in extremer Armut, so sind es heute weniger als 10 Prozent. Der wichtigste Grund dafür sind nicht Almosen — es ist der Handel.
Nicht jeder profitiert gleich stark von der Globalisierung. Deshalb werden die Gewinne im Land umverteilt, damit alle etwas davon haben. Das ist es, was die Globalisierungsgegner verdrängen. Statt sich dafür einzusetzen, anders umzuverteilen, richten sie sich gegen die Globalisierung an sich. Das ist der falsche Gegner. Der. richtige wäre die Politik des eigenen Landes. Sie könnten zum Beispiel fragen, ob Einkommen in ihrem Land grundsätzlich anders besteuert werden sollten.
Es ist Zeit, dem Globalisierungshass etwas entgegenzusetzen. Zeit für eine Bewegung, die daran erinnert, dass es nicht nur Globalisierungsverlierer gibt, sondern dass wir alle Globalisierungsgewinner sind. Eine Bewegung, die weiß, dass Globalisierung kein neues, menschliches Antlitz braucht, sondern längst eines hat.