Stralsund. Eigentlich war ein Routinegespräch terminiert. Für den Nachmittag des 9. Oktober hatte die Gewerkschaft Verdi die Repräsentanten der kriselnden Warenhauskette Galeria Kaufhof nach Berlin gebeten. Thema sollte die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sein, ein zentrales Anliegen der Gewerkschafter.
Doch die Kaufhof-Leute hatten exakt das Gegenteil im Sinn: den Ausstieg aus der Flächenbindung – und stattdessen den Abschluss eines Sanierungstarifvertrags. Die rund 20 000 Kaufhof-Mitarbeiter in Deutschland sollen in den nächsten drei Jahren mehr arbeiten, aber weniger verdienen. 60 bis 100 Millionen Euro will Galeria jährlich an Personalkosten einsparen.
Wenn Verdi sich querstelle, so das im Raum stehende Szenario, könne die Tochter des kanadischen Konzerns Hudson’s Bay Company (HBC) gezwungen sein, mehrere Tausend Arbeitsplätze abzubauen.
Einerseits wirkt der Vorstoß verständlich. Der direkte Konkurrent Karstadt hat aufgrund einer Sondervereinbarung mit Verdi derzeit einen Personalkostenvorteil von knapp 10 Prozent. Andererseits liegt es vor allem in der Verantwortung von HBC selbst, dass ein — unter der früheren Eigentümerin Metro — funktionierendes Geschäftsmodell binnen zwei Jahren zum Sanierungsfall verkommen ist.
Zudem könnte der Zeitpunkt für die Aktion unglücklicher nicht gewählt sein. Im Weihnachtsgeschäft ist Kaufhof mehr denn je auf eine motivierte Belegschaft angewiesen — und jetzt ein solcher Affront.
Der scheidende Chef Wolfgang Link braucht schnelle Erfolge — zumal er sich jüngst den Ärger der Kölner Führungsmannschaft zugezogen hat. Kaum jemand versteht, warum er den Warenhauslaien und früheren Real-Manager Roland Neuwald als seinen Nachfolger ausgewählt hat, wie von manager-magazin.de exklusiv gemeldet. Link will sich aufden Posten des HBC-Europa-Chefs zurückziehen.
In Berlin saßen ihm und seinem neuen Arbeitsdirektor Peter Herlitzius ein höchst gereizter Verdi-Boss Frank Bsirske und dessen Vorstandskollegin Stefanie Nutzenberger gegenüber.
Die beiden Gewerkschafter ließen ihre Konterparts erst einmal reden.
Dann brach es aus Bsirske heraus: Warum denn, anders als versprochen, bislang nichts von den erhöhten Mieten, die HBC der deutschen Tochter seit 2015 abverlangt, an diese zurückgeflossen sei? Das Wort Raubritter soll gefallen sein.
Bsirskes Entrüstung ist begründet: Die um nahezu 50 Millionen Euro teurer gewordene Gebäudenutzung hatte wesentlichen Anteil am Verlust des vergangenen Geschäftsjahres.
Die Wut des Gewerkschafters könnte sich noch steigern, wenn er die ganze Wahrheit erfährt. HBC hat bei Galeria Kaufhof seit der Übernahme weit dreister in die Kasse gegriffen als bisher bekannt.
So lieh sich eine Zwischenholding namens HBC Germany mehrere Hundert Millionen Euro bei Kaufhof. Unklar ist, wo das Gros des Geldes abgeblieben ist: ob die weitgehend geschäftslose Firma es an ihre Gesellschafterin HBC Europe oder gleich an die notorisch finanzschwache Konzernmutter durchgeleitet hat.
Alles in allem zeigt das Finanzgebaren: Die Hauptakteure von HBC, Chairman Richard Baker und CEO Jerry Storch, scheinen die deutsche Tochter als Selbstbedienungsladen zu betrachten. Bezahlen sollen nun die Kaufhof-Mitarbeiter. Und Verdi soll die tarifliche Grundlage hierfür liefern.
Eine schwierige Entscheidung für Bsirske und Kollegen. Eigentlich können sie es nur falsch machen. Entweder sie stellen sich stur und riskieren Massenentlassungen – eventuell sogar eine Insolvenz von Galeria Kaufhof. Oder aber sie geben nach und machen sich damit zu Komplizen der undurchsichtigen Machenschaften von HBG. Wobei es keine Garantie gibt, dass eine Kompromissbereitschaft der Arbeitnehmerseite Schlimmeres verhindert. Das musste schon Karstadt während der Ära Berggruen erleben.
Für den Fall, dass Verdi auf Verhandlungen eingeht, würde die Gewerkschaft einen Wirtschaftsprüfer ihres Vertrauens entsenden, um die Plausibilität der Arbeitgeberangaben zu verifizieren. Und das könnte sehr unangenehm für die Kaufhof-Führung werden.
Denn die Bilanz von Galeria Kaufhof zum Ende des Geschäftsjahrs 2016/17 sowie der zugehörige Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte lassen tiefe Einblicke in die konzerninternen Geldströme zu. Überdies hat Deloitte nur ein eingeschränktes Testat erteilt. Sowohl die Bilanz als auch der Prüfbericht liegen Transatlantic Journal vor.
Auffällig sind vor allem die Zahlungsflüsse rund um HBC Germany. Mit 316 Millionen Euro stand die Firma zum Geschäftsjahresende am 31. Januar 2017 bei Galeria Kaufhof in der Kreide. 204 Millionen Euro davon waren „kurzfristige Darlehen“.
Hinzu kam ein Anspruch auf Ausgleich des im abgelaufenen Geschäftsjahr entstandenen KaufhofVerlusts durch die Zwischenholding. Denn mit Datum vom 21. März 2016 hatte Galeria mit HBC Germany einen Ergebnisabführungsvertrag abgeschlossen. Den Jahresfehlbetrag der Galeria Kaufhof GmbH von 102 Millionen Euro stellte HBC Germanyjedoch nicht durch eine Überweisung glatt. Der Betrag blieb als Kreditforderung in der KaufhofBilanz stehen. Und noch einmal zehn Millionen Euro zog HBC Germany aus der Kaufhof-Kasse ab, sie waren per 31. Januar als sonstige Forderung verbucht.
Ob die Bonität von HBC Germany nach banküblichen Maßstäben überhaupt für eine solch gewaltige Darlehensaufnahme ausreicht oder ob die Firma Sicherheiten gestellt hat, thematisiert Deloitte in seinem Prüfungsbericht nicht ausdrücklich.
Deutliche Skepsis lässt sich indes an folgender Feststellung der Hakelmacher ablesen: „Das Vermögen der HBC Germany besteht im wesentlichen aus den Anteilen an der Kaufhof.“ Finanzielle Mittel, eiern die Wirtschaftsprüfer herum, könne die Firma „somit in erster Linie nur“ durch Ausschüttungen von Kaufhof oder durch Zuführungen des HBCKonzerns generieren.
Heißt im Klartext: Wenn Kaufhof in die Insolvenz ginge, würde HBC Germany über kein nennenswertes Vermögen mehr verfügen — der Anspruch von Kaufhof auf Darlehensrückzahlung liefe damit wohl ins Leere. Und mit ihm die Forderungen künftiger Insolvenzgläubiger. Es sei denn, die klamme Konzernmutter zahlen. Wenn sie dann noch kann und will.
Ohne sich die Einschätzung der Kaufhof-Führung zu eigen zu maChen, gibt Deloitte deren Zuversicht wieder, dass „die Forderungen gegen die HBC Germany werthaltig und bei Bedarf (kurzfristig) rückführbar“ seien. Dies auch „aufgrund der derzeit bestehenden Pläne, die HBC Germany mit zusätzlichen finanziellen Mitteln auszustatten“, hebt die Kaufhof-Spitze hervor. Zumin dest partiell hat sich das Vertrauen auf die Zahlungsfähigkeit erfüllt. Nach dem Bilanzstichtag wurde ein Teilbetrag zurückgezahlt.
Bedeutende Zinseinnahmen aus den dreistelligen Millionenkrediten konnte Galeria Kaufhoffreilich nicht verbuchen. Der Zinsertrag lag gerade mal bei 3,4 Millionen Euro. Der Zinsaufwand, den Kaufhofgleichzeitig für eigene Schulden tragen musste, betrug das Fünffache davon.
Auch durch die großzügigen Ausleihungen an HBC Germany war die Kaufhof-Kasse per 31. Januar weitgehend entleert. Der Finanzmittelfonds schnurrte innerhalb eines Jahres von 174,8 auf 42,5 Millionen Euro zusammen. Dramatisch wenig für ein Unternehmen mit 2,9 Milliarden Euro Umsatz — noch dazu kurz nach dem Weihnachtsgeschäft, wenn die Kassen im Einzelhandel üblicherweise überquellen.
In den folgenden Monaten sickerten immer mehr Informationen über die miserable wirtschaftliche Entwicklung von Galeria Kaufhof durch. Eine Umsatzeinbuße von 2,9 Prozent, ein negativer Cashflow von 132 Millionen Euro und ein operativer Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit) in Höhe von 70,4 Millionen Euro sorgten bei den Finanzpartnern für erhebliche Unruhe.
Die Kreditversicherer, deren Geschäft es ist, die Lieferanten des Einzelhandels gegen Forderungsausfälle abzusichern, beeilten sich, ihre Risiken zu minimieren. Sie setzten die Deckungssummen drastisch herab oder verlangten sogar Bürgschaften von HBC.
Plötzlich musste Kaufhof seine Lieferanten schneller bezahlen oder gar Vorkasse leisten. Der zusätzliche Liquiditätsbedarf stieß rasch an die engen Grenzen.
Mitte 2017 sah sich HBC gezwungen, rund 100 Millionen Euro an die Tochter zurückzuüberweisen. Dadurch sind im Saldo ein Drittel der Kreditforderungen getilgt – was aber prinzipiell nichts an der befremdlichen Cashpool-Praxis ändert.
Fast schon nebensächlich wirkt es da, wenn Deloitte „Unregelmäßigkeiten in der Rechnungslegung“ bemängelt. Laut IFRS-Vorschriften hätte Kaufhof mindestens drei aufeinanderfolgende Bilanzen, zwei Gesamtergebnisrechnungen, und zwei Gewinn-und-Verlust-Rechnungen nebst Anhängen erstellen müssen.
Doch das war den Galeria-Leuten offenbar zu viel Arbeit. „Unter Abwägung … des Aufwands und des hieraus resultierenden Nutzens für den Adressaten“ (Deloitte) setzte sich das Unternehmen über die Regeln hinweg. Für die Prüfer Grund genug, Kaufhof nur einen „eingeschränkten Bestätigungsvermerk“ zu erteilen. Auch das nicht gerade ein Ausweis von Redlichkeit.